0924 - Das Totenbuch
Gesichtszüge, weil Suko darum bat, den Besitzer oder Geschäftsführer sprechen zu dürfen.
»Lao Fang ist der Besitzer.«
»Dann bitte ihn.«
»Sofort.«
»Jetzt schleicht er mit Herzklopfen davon«, sagte Shao und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Mal sehen.«
Lao Fang ließ nicht lange auf sich warten. Er kam, lächelte, blieb stehen und wunderte sich, als Suko ihn bat, doch am Tisch Platz zu nehmen, weil er etwas zu besprechen hatte.
»Oh, wird es länger dauern?«
»Warum?« fragte Shao.
»Meine Zeit ist begrenzt. Ich erwarte einen wichtigen Besucher. Sie verstehen.«
»Wir sind ebenfalls wichtig«, sagte Shao, »denke aber auch, daß sich die Dinge sicherlich regeln lassen.«
Lao Fang tupfte Schweiß von seiner Stirn. »Darf ich fragen, von welchen Dingen Sie reden?«
»Dürfen Sie. Es geht um einen Mann.«
»Wie lautet sein Name?«
»Paul Sibelius«, informierte Suko den Geschäftsführer.
Der Chinese schwieg. In seinem Gesicht hatte sich nichts bewegt, so wußte keiner, wie das Schweigen aufgefaßt werden sollte. »Es ist natürlich kein Chinese.«
»Wie wahr, aber trotzdem muß er hier bei Ihnen gelebt haben oder zu Besuch gewesen sein.«
»Ach. Bei uns?«
»Ja.« Suko deutete dorthin, wo er den Anbau vermutete. »Da hat dieser Mann gewohnt, da ist er auch tot aufgefunden worden. Sie wissen jetzt, von wem ich rede.«
Lao Fang fing an zu lachen, »Ja, ist klar. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Die Polizei war hier.«
»Im Anbau, meinen Sie.«
»Auch.«
»Kannten Sie den Mann?« fragte Shao.
»Nein!« Das Wort war ihm so glatt über die Lippen gekommen, daß die beiden es als Lüge einstuften, sich aber eines Kommentars enthielten, als hätten sie sich abgesprochen.
»Und trotzdem haben Sie ihn bei sich wohnen lassen?« wunderte sich die Chinesin.
»Nicht bei mir. Ich habe damit nichts zu tun. Es ist nicht meinem Lokal angeschlossen.«
»Wer lebt denn sonst da?«
»Das weiß ich nicht genau. Viele ziehen ein, andere ziehen aus.«
Shao wollte auf ein bestimmtes Thema hinaus und fragte deshalb: »Arbeiten die Leute dort auch?«
»Was meinen Sie damit?«
»Viele kommen ja her, um zu arbeiten«, erklärte Shao lächelnd. »Meist illegal und zu mehr als bescheidenen Löhnen. Man weiß, daß es die Nähereien nicht nur in Frisco oder New York gibt, sondern auch hier in London. Das könnte auch bei Ihnen sein - oder?«
Lao Fang breitete die Arme aus. »Möglich ist alles auf dieser Erde, wirklich alles. Ich schließe nichts aus, aber ich weiß zuwenig.«
Shao gefielen diese abschweifenden Worte nicht, das sagte sie ihm auch.
»Was meinen Sie damit?«
»Es könnte ja sein, daß es für die Gesundheit besser ist, wenn man weniger weiß als andere. Aber darüber möchte ich mich mit Ihnen nicht streiten. Sie sagten ja, daß dieser Anbau nicht zu Ihrem Lokal gehört.«
»Richtig, damit haben wir nichts zu tun.«
»Wenn es so ist, werden Sie sicherlich nichts dagegen haben, wenn wir uns dort einmal umschauen, wo der Tote gefunden wurde«, sagte Suko. Er hatte leise gesprochen, und seine Mimik zeigte ein feines Lächeln. Er und Shao warteten gespannt auf die Antwort des Geschäftsführers, aber der ließ sich Zeit. Er fummelte an seinem Gurgelpropeller herum, als wäre ihm der Kragen plötzlich zu eng geworden. Die Augendeckel zitterten vor Nervosität, dann zuckten seine Lippen, und er hatte sich endlich zu einer Frage durchgerungen.
»Warum wollen Sie denn dort unbedingt nachschauen? Es ist doch vergessen und erledigt. Die Polizei hat sich intensiv um die Tat gekümmert. Ich verstehe nicht…«
»Paul Sibelius war ein Bekannter von uns. Beinahe schon ein Freund«, log Suko.
»Ah - so ist das.«
»Genau so, Lao Fang. Er hatte uns sogar eingeladen, zu ihm zu kommen…«
»Hierher?«
»Nicht direkt, aber wir wußten, daß er sich auch hier aufhielt. Ansonsten lebte er woanders.«
Lao Fang zeigte keine Neugierde. Er wollte nicht wissen, wo der Mann einmal gelebt hatte. Er hob nur die Schultern und sagte: »Ich kann Sie nicht daran hindern. Aber mich müssen Sie entschuldigen, ich habe noch zu tun.« Er stand auf und deutete eine Verbeugung an. Dann verschwand er mit schnellen Schritten.
Shao schaute ihm nach. Sie zog dabei die Lippen zurück und grinste scharf hinter dem Mann her.
»Ich traue ihm nicht, Suko. Oder glaubst du ihm vielleicht?«
»Abwarten. Mir jedenfalls kam er nicht so vor, als wäre er über unseren Besuch erfreut.«
»Stimmt. Er hat Angst
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