0927 - Nacht über GALAHAD
begann, das Boldaan nicht erkennen konnte.
Sofort hob der Archivar die dürren, ledrigen Arme. »Okay, okay. Sehe ich ein.« Er hatte schon Gerüchte über den Sinn dieses Klemmbretts gehört, und wenn nur die Hälfte von ihnen einen wahren Kern hatte, wollte er den Dämon um nichts in der Welt noch weiter reizen. Dafür hing er zu sehr an seinen Verdauungsorganen.
Plötzlich kam ihm allerdings eine Idee.
»Darf ich dir denn eine Frage stellen? Dir, nicht Stygia?«
Das Seufzen des Türstehers klang, als rutschten zwei Erdplatten übereinander. »Klar doch«, sagte er. »Wofür bin ich hier, wenn nicht als Seniorenbelustigung?«
Boldaan blinzelte verwirrt.
»Du hast zwanzig Sekunden«, sagte der Dämon resignierend. »Allerdings muss ich dich der Fairness halber darüber in Kenntnis setzen, dass ich nach Ablauf dieser Frist bemächtigt bin, mit dir zu verfahren, wie mir beliebt. Sofern du mich nicht von deinem Anliegen überzeugst, versteht sich.«
»Ähm…« Boldaan ignorierte seine zitternden Knie und setzte alles auf eine Karte. Immerhin war das Glück mit den Tapferen, oder etwa nicht? »Mal angenommen, du wüsstest von einem Vorfall, der vielleicht nicht sonderlich dringend, aber doch von Bedeutung wäre«, begann er hastig. »Und du könntest dich nicht selbst darum kümmern. Würdest du ihn melden?«
»Ja«, antwortete der Koloss und zeichnete konzentriert weiter. Er klang gereizt. »Und zwar meinen Vorgesetzten - was in deinem Fall ja wohl die Verwaltung des Höllenarchivs wäre, richtig?«
Scheiße, der kennt mich… Keine angenehme Erkenntnis. »Aber mal angenommen, dort will dir niemand zuhören, weil man dein Anliegen für unbedeutend hält. Was machst du?«
Die Lavahand mit dem Kohlestift flog mittlerweile nahezu über das Brett, fügte der Zeichnung immer weitere Striche zu. »Nichts mehr, da es ja offensichtlich unbedeutend ist.«
»Ah. Ber. Das. Ist. Es. Nicht!«, brauste Boldaan auf und betonte frustriert jede einzelne Silbe. »Dafür garantiere ich. Nichts existiert im luftleeren Raum, nichts geschieht ohne Konsequenz - und glaube mir, nur ein kleiner Handgriff von Stygia, und schon ist alles wieder…«
In der Luft über dem Kopf des Dämons erschien ein vielleicht unterschenkelgroßer Kreis aus rot flackerndem Feuer, in dem zwei Zeiger aufeinander zueilten. Als sie sich trafen, legte der Türsteher Brett und Kohlestift beiseite.
»Gut. Die Zeit ist um und du…« Mit dem harmlosesten Gesichtsausdruck, der einem Lavadämon überhaupt möglich ist, blickte er auf. »… immer noch da. Okay.«
Boldaan schluckte.
Das Klemmbrett wurde umgedreht. Und die Zeichnung…
Boldaan schluckte noch mal. Lauter.
Der Irrwisch, der zwanzig Minuten später zufällig des Weges kam, erzählte seinen Freunden später unter Zittern und Würgen, noch nie ein derart abscheuliches Schauspiel miterlebt zu haben. Trotz aller überdeutlichen Qual und Demütigung habe Boldaan nicht aufgehört, den Dämon weiter anzustacheln. Wann immer er genug Luft bekam, habe er »Noch mal, Herrgott«, geschrien…
Kapitel 4 - Gryf: Vergebliche Liebesmüh
Invergordon
»Wenn ich's euch doch sage: ganz teigige Gesichter. Dick wie ein Sahnekuchen. Daran war nichts Menschliches mehr.« Stille, ein bis zwei Sekunden lang. Dann folgten Gelächter und abfällige Bemerkungen. Dicke Rauchschwaden zogen durch die Luft, aufgewirbelt von den protestierenden Bewegungen der Zuhörer.
»Also ehrlich, Rankin«, sagte ein bärtiger Mann in der Uniform eines Briefträgers tadelnd. »So ein Ammenmärchen anlässlich eines tragischen Bootsunfalls. Schäm dich. Irgendwann flunkerst du dich noch um den Verstand.«
Sein Tischnachbar, ein schmächtiges Kerlchen in Flanellhemd und Blaumann, schüttelte den Kopf und nahm sich ein weiteres Käsebrot von der Platte, die auf dem Tisch stand. »Ist längst passiert. Guck ihn dir doch an.«
Diese Bemerkung führte zu einer weiteren Runde Gelächter. Rankin hob die Hand. »Hab ich zumindest so gehört, als ich unten am Hafen war«, sagte er, und es klang gleichermaßen einschränkend wie rechtfertigend.
Wenige Meter von den Saufkumpanen entfernt, stellte Gryf ap Llandrysgryf seine Ohren wieder auf Durchzug. Seemannsgarn , dachte er amüsiert, warf den vier gestandenen Kerlen noch einen amüsierten Blick zu, und hob dann seinen Pint zum Mund. Manche Dinge ändern sich wohl nie.
Kühl und wohltuend lief das dunkle Bier seine Kehle hinab, verschaffte ihm die erhoffte Abkühlung. Draußen vor den
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