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093 - Der Geist im Totenbrunnen

093 - Der Geist im Totenbrunnen

Titel: 093 - Der Geist im Totenbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cedric Balmore
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dieses merkwürdige, geisterhafte Mondlicht jagte ihr einen Schauer nach dem anderen über die Haut.
    Ihr fiel Leroy ein. An seiner Seite hatte sie sich stets geborgen gefühlt. Gewiß, er hatte seine Eigenheiten gehabt, aber er hatte auch Kraft und Wärme verbreitet. Und sie war schuld an seinem Tod! Kühl und überlegt hatte sie ihn geplant.
    Nein, nur nicht darüber nachdenken! Leroy lag auf dem Friedhof. Er hatte im Grunde einen wunderbaren Tod gehabt und nicht einmal gespürt, was ihn traf – und warum.
    Plötzlich hingen die Gardinen ganz schlaff herab. Wieder übermannte Daphne das Empfinden, nicht allein im Raum zu sein. Ihr Herzschlag setzte aus, als sie ein Knarren hörte. Sie kannte das Dielenbrett in der Mitte des Schlafzimmers, das dieses Geräusch verursachte, nur zu gut.
    Daphne fühlte, daß etwas auf sie zukam, langsam und entschlossen, schemenhaft…
    Sie versuchte, ihre Hand nach der Nachttischlampe auszustrecken, aber sie war wie gelähmt.
    Ihre Augen hatten keine Mühe, jedes Detail des Raumes zu erkennen. Die Gestalt, die sie wahrzunehmen meinte, hatte keine wirklichen Konturen, sie war nicht greif- oder sichtbar, aber sie war vorhanden, und sie kam näher, immer näher!
    Daphne schrie, lange und anhaltend.
    Es war, als wollte sie mit dieser Explosion ihrer Angst den Spuk töten, aber sie machte damit alles nur viel schlimmer, denn die Furcht blieb, und die Tatsache, daß ihr Angstschrei nichts zu bewirken vermochte, vertiefte nur ihre Hilflosigkeit.
    Sie atmete keuchend, mit offenem Mund. Plötzlich fühlte sie sich hochgehoben. Es schien, als schwebe sie in der Luft.
    Sie wollte abermals schreien, doch der Schock legte sich mit lähmender Kraft auf ihre Stimmbänder. Sie spürte, daß die Arme, die sie hielten, nur aus Knochen bestanden. Sie erschauerte. Beißender Grabesduft stieg ihr in die Nase.
    Daphne wurde durch den Raum getragen, mühelos, geräuschlos. Sie näherte sich der Tür, die sich wie von selbst öffnete. Sie starrte in das Dunkel der Galerie, konnte aber nichts sehen, sie spürte nur den Druck der knochigen Arme und wußte, daß sie ihnen nicht entrinnen konnte.
    Daphne schloß die Augen.
    Sie biß sich kräftig auf die Lippen, ganz fest, so daß es blutete, aber sie wartete vergebens darauf, in ihrem Bett zu erwachen und sich davon überzeugen zu können, daß alles nur ein gräßlicher Traum gewesen war.
    Der Knochenmann trug sie ins Erdgeschoß, dann durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. Der widerliche, ekelhafte Geruch von Grab, Tod und Verwesung – schnürte ihr buchstäblich die Kehle zu.
    Daphne vermochte nicht einmal aufzuatmen, als sie an der frischen Luft war. Die grauenhafte Angst und das Entsetzen vor den nächsten Minuten war zu groß.
    Das unsichtbare, und doch auf so schreckliche Weise gegenwärtige Wesen trug sie quer durch den Garten. Es schien, als hielte die Natur ringsum den Atem an, als stünde die Zeit still.
    Daphne stöhnte hilflos und sah, wie sie geradewegs auf den alten Brunnen zugetragen wurde, den Totenbrunnen…
    Natürlich hatte sie gehört, welche Legenden und Märchen sich um das alte Gemäuer mit seinen dunklen, unausgeloteten Tiefen rankten, aber sie war zu realistisch eingestellt, um diesen Dingen Glauben zu schenken.
    Sie hatte Dämonen und Gespenster für eine Illusion gehalten und mußte erkennen, daß ihre Ansicht falsch war.
    Der Brunnen kam näher, immer näher.
    Sie hielten an seiner Einfassung. Daphne sah, daß die Holzbohlen zur Seite geschoben waren. Aus dem Brunnen stieg der gleiche, widerliche Geruch empor, der dem unsichtbaren Wesen anhaftete.
    „Nein!“ keuchte sie. „Nein!“
    Es war absurd – aber sie klammerte sich an den Knochen fest, die sie hielten, obwohl doch alles in ihr danach drängte, sich dem schauerlichen Zugriff zu entziehen.
    „Nein!“ schrie sie abermals.
    Die Arme hoben sie über das schwarze, kreisrunde Loch, über den gähnenden Abgrund.
    In der Ferne donnerte ein Zug über die Schienen. Das Heulen der Lokomotive machte ihr deutlich, daß sie nicht träumte, sondern alles schreckliche Wirklichkeit war.
    Plötzlich öffneten sich die knochigen Arme. Daphne fiel. In letzter Sekunde klammerte sie sich an der steinernen Einfassung fest, aber damit verlängerte sie lediglich das Entsetzen. Sie hatte keine Kraft, sich hochzuziehen, und sie hatte nicht genügend Halt, um sich vor dem Absturz zu bewahren. Daphne fühlte, wie ein Stück des Steines, an dem sie hing, sich lockerte.
    Sie umklammerte ihn mit

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