Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
093 - Der Geist im Totenbrunnen

093 - Der Geist im Totenbrunnen

Titel: 093 - Der Geist im Totenbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cedric Balmore
Vom Netzwerk:
liebevoll.
    Leroy fiel es wie Schuppen von den Augen.
    Der letzte Laut, an den er sich in seinem Leben als Leroy Chester zu erinnern vermochte, war also das Quietschen der Gewehrschranktür gewesen!
    Es war leicht, sich den Rest zusammenzureimen. Daphne oder Harry hatten ein Gewehr aus dem Schrank genommen, einer von ihnen hatte auf seine Schläfe gezielt und abgedrückt…
    Er mußte auf der Stelle tot gewesen sein, denn sein Bewußtsein hatte nicht einmal das laute Krachen des Schusses zu registrieren vermocht.
    Leroy schluckte. Er zog den Kopf zurück, öffnete die Tapetentür, betrat die Besenkammer und ließ sie einen Spaltbreit offen. Er konnte jedes Wort verstehen, das im Wohnzimmer gesprochen wurde. Falls sich Daphne oder Harry in die Diele begaben, konnte er rechtzeitig die Tür schließen.
    Warum sprachen die beiden nicht weiter? Warum unterhielten sie sich nicht über das Verbrechen? Er brannte darauf, zu erfahren, wer den tödlichen Schuß abgegeben hatte, Daphne oder Harry…
    Aber spielte das eine Rolle? Sie hatten das Verbrechen gemeinsam geplant und ausgeführt, der Finger am Abzug war nur der Schlußpunkt gewesen!
    Nein, der Schlußpunkt hieß Wilson Carrington. Er würde das Werkzeug der Rache sein.
    „Was willst du mit dem Gewehr?“ fragte Daphne. Ihre Stimme klang noch immer nervös und gereizt.
    „Es ansehen, befühlen. Du weißt, wie mich diese Dinge faszinieren“, sagte er. „Ich liebe ihre düstere Dynamik, ihre formschöne Präzision, ihre stumme Drohung.“
    „Warum sagst du das?“
    „Nur so“, meinte er. „Ich fasse zusammen, was ich empfinde, Liebling.“
    „Stelle das Gewehr zurück in den Schrank“, forderte Daphne. „Es ist nicht gut, wenn du es berührst.“
    „Wegen der Fingerabdrücke, meinst du? Das ist doch lächerlich! Leroy ist mit der Winchester erledigt worden, die fasse ich nicht an.“
    „Eben“, sagte Daphne ungeduldig. „Leuchtet dir nicht ein, daß das verdächtig erscheinen muß? Alle Gewehre in dem Schrank tragen deine oder meine Fingerabdrücke – nur die Winchester nicht!“
    „Liebling“, seufzte er. „So geht es nicht weiter. Wie kann ich dich bloß von diesem Komplex heilen? Wir haben nichts zu befürchten, gar nichts. Der Inspektor hat alles zu Protokoll genommen und meine Version akzeptiert. Der Totenschein wird von keinem angefochten werden, niemand traut dir oder mir einen Mord zu.“
    „Wir sind leichtsinnig“, sagte Daphne. „Wir reden zu viel über die Tat.“
    „Niemand hört uns zu.“
    „Hast du noch nichts von versteckt eingebauten Mikrofonen gehört? Vielleicht will man uns heimlich des Mordes überführen“, sagte Daphne.
    Wieder ertönte das Quietschen. „Jetzt wird es mir wirklich zu bunt“, sagte Harry, der offenbar das Gewehr in den Schrank zurückgestellt hatte. „Wir haben Erfolg gehabt. Alles liegt hinter uns. Jetzt beginnt unser gemeinsames Glück, und ausgerechnet in dieser schönen, vielversprechenden Phase fängst du an, dir und mir mit dummen Unkereien das Leben schwerzumachen.“
    „Gehst du schon?“
    „Ja, ich muß mich um meine Patienten kümmern.“
    „Wann sehen wir uns wieder?“
    „Ich weiß noch nicht, ich rufe dich an. Du kennst die Risiken…“
    „Schon gut“, seufzte Daphne. „Ich weiß, vierzehn Tage totale Abstinenz!“
    „Sei nicht böse, wenn ich am Telefon förmlich bleibe und nur als guter, besorgter Freund auftrete. Man weiß schließlich nicht, wer mithört.“
    Danach war Stille. Leroy wußte, daß Daphne und Harry sich küßten. Er zog behutsam die Tapetentür zu und wartete. Eine Minute später erklangen Schritte in der Diele, dann war Harry gegangen.
    Leroy hörte, wie Daphne nach oben ging. Kurz darauf ertönte das Rauschen einlaufenden Badewassers. Er huschte aus seinem Versteck und verließ das Haus.
     

     
    Als er in den Ort zurückkehrte, verspürte er Hunger. Das überraschte ihn. Ein Toter, der einen ganz normalen Appetit entwickelte. Im „OLE INN“ saßen vier Gäste in Trauerkleidung am Tresen und verrenkten sich die Hälse, als er an einem der Tische Platz nahm.
    „Was darf’s sein, Sir?“ fragte der herankommende Gus Nottenham laut. Dann beugte er sich zu Leroy hinab und flüsterte: „Es hat Ärger gegeben. Der Inspektor will Sie sprechen.“
    „Der Inspektor?“ wunderte sich Leroy.
    „Ja, er leitet die hiesige Polizeistation. Sein Name ist Jameson. Es wird am besten sein, Sie gehen gleich zu ihm. Er hat Ihr Zimmer durchsucht.“
    „Das Zimmer hier im Haus,

Weitere Kostenlose Bücher