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093 - Der Geist im Totenbrunnen

093 - Der Geist im Totenbrunnen

Titel: 093 - Der Geist im Totenbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cedric Balmore
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Heilanstalt.“
    „Nein“, erwiderte Daphne seltsam ruhig. „Das wird er nicht. Er weiß jetzt, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die menschlicher Vernunft und Erfahrung hohnsprechen und die ihre eigenen Gesetze haben. Er war es, der das Bild aus dem Rahmen geschnitten hat und hinterher feststellen mußte, daß es ohne sein Zutun an den alten Platz zurückkehrte! Du hattest mich vernachlässigt“, fuhr sie nach kurzer Pause fort. „Deine Bücher, deine Arbeit bedeuteten dir alles, ich war nur noch Fassade, ein Stück von Marhill Place, mehr nicht. Wundert es dich da, daß ich mich Harry zu wandte und wir einen Weg suchten, um dich loszuwerden?“
    „Euch scheint entgangen zu sein, daß unsere moderne Gesellschaft den Begriff der Scheidung kennt“, spottete er.
    „Scheidung! Natürlich habe ich daran gedacht. Aber ich kannte dich“, meinte Daphne. „Du hättest dich niemals von mir scheiden lassen, niemals…“
    Hatte sie recht? Chester überlegte. Er wollte nichts beschönigen, sich aber auch nichts vormachen lassen. „Welchen Sinn hätte es denn wohl für mich gehabt, eine Frau an mich zu ketten, die einen anderen liebt?“ fragte er.
    „Du bist Zeit deines Lebens ein Egoist gewesen, du hast mit deinem Geld und deinem Charme alles gekauft, was dir gefiel – und du hast niemals etwas hergegeben, was sich deiner Wertschätzung erfreute.“
    Er beugte sich nach vorn. „War es nicht eher so, daß Harry und du an mein Geld dachtet? Bei einer Scheidung hättet ihr nichts davon bekommen, aber mein Tod macht dich zur schwerreichen Witwe…“
    Daphne lief rot an. „Unsinn!“
    „Soll ich Carinius fragen?“ forderte er sie heraus.
    Daphne lehnte sich zurück und schloß die Augen. Sie schaltete ab. Es tat gut, sich einzureden, daß alles nur ein dummer Traum war. Es konnte einfach nicht stimmen, daß sie mit einem Mann namens Carrington sprach, der sich als Leroy ausgab und zeitweilig seine Maske fallen ließ, um zu zeigen, wer er in Wirklichkeit war.
    „Soll ich Carinius fragen?“ wiederholte er.
    Daphne hob die Lider. „Du paktierst mit ihm, nicht wahr? Was habt ihr vor?“
    „Ich bin zurückgekommen, um mich zu rächen.“
    „Ich weiß“, sagte Daphne leise. „Du hast vor, uns in den Tod zu treiben. Du wirst weder schießen noch stechen, du wirst weder Gift mischen noch würgen. Du willst uns quälen, uns wahnsinnig machen!“
    „Das wäre ein Weg“, sagte er kalt.
    „Was würdest du wohl tun, wenn sich erwiese, daß wir stärker sind als du?“ trumpfte Daphne auf. Es schien, als müßte sie sich Mut machen und ihm beweisen, daß sie noch fähig war, zu kämpfen. „Was würdest du tun, wenn wir dich ein zweites Mal töteten?“ forderte sie ihn beinahe wütend heraus.
    „Wiederkommen“, sagte er.
    Daphne schüttelte sich. Ihre aufflackernde Hoffnung sank in sich zusammen. Sie hätte sich dazu aufraffen können, gegen einen Geist zu kämpfen, aber der Gedanke, daß dieser Spuk unverletzbar war, brach ihr gleichsam das Rückgrat.
    „Hilf mir!“ flehte sie.
    Er stand auf. „Ja, ich werde dir helfen“, sagte er. „Ich werde dir die Ruhe des Todes bringen.“
    Es war, als spräche ein anderer aus ihm. Leroy sah, wie Daphne in sich zusammensank, wie sie ihre Hände in die Armlehnen des Sessels krampfte und wunderte sich, daß er immer noch Mitleid für sie zu empfinden vermochte.
    Er wandte sich ohne Eile zur Tür und hörte, wie Daphne aufsprang. Im nächsten Moment ertönte das leise Quietschen, das durch das Öffnen des Gewehrschrankes verursacht wurde.
    Leroy blieb stehen und wandte sich um.
    Daphne hatte ein Gewehr aus dem Schrank gerissen. Sie atmete schwer, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen.
    Leroy lächelte leer.
    Er fühlte, daß er vor dem Schuß und seinen Folgen keine Angst zu haben brauchte. Eine Gewißheit hatte er natürlich nicht.
    „Willst du mich ein zweites Mal umbringen?“ fragte er.
    Daphne kam auf ihn zu, ein seltsames, kaltes Glitzern in den Augen. Sie trug die Waffe halb im Anschlag, die Mündung war auf sein Herz gerichtet, und ihr Finger hatte den Druckpunkt des Abzugs erreicht.
    „Das erste Mal“, sagte sie leise, kalt und entschlossen, „tötete ich dich aus egozentrischen Motiven. Diesmal töte ich dich aus Mitleid.“
    „Aus Mitleid?“ fragte er.
    „Ja, damit du endlich deine Ruhe findest!“
    Sie zielte und drückte ab.
    Der Knall des Schusses weckte in dem großen, hohen Raum ein hallendes, ohrenbetäubendes Echo. Ein scharfer

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