0932 - Grausame Zeit
nicht den ganzen Körper sah, wußte er, daß seine Frau nackt war, und er konnte sich trotzdem nicht vorstellen, wie sie ums Leben gekommen war.
Aus ihren Nasenlöchern war Blut geronnen und hatte sich auf der Oberlippe festgesetzt. Auch die Ohren hatten etwas mitbekommen, aus ihnen war ebenfalls Blut gesickert. Am Hals hatte es schon eine dünne Haut bekommen, aber das alles sah er und konzentrierte sich trotzdem auf etwas anderes.
Da waren die Augen seiner Frau, aus denen jegliches Leben gewichen war. So leer, so schrecklich geweitet, so unwahrscheinlich glanzlos. Es war nicht der erste tote Mensch, den Cichon sah, beileibe nicht, aber es war seine Frau, und dieser Anblick traf ihn deshalb doppelt so hart.
Erst jetzt war er in der Lage, einen Laut abzugeben. Sein Stöhnen klang wie ein Klagelied, das durch die Totenstille des Zimmers wehte. Anton Cichon fühlte sich so allein, so einsam. Seine Wangen zuckten. Die Tränen konnte er nicht mehr zurückhalten. Sie waren einfach da. Er hörte sich selbst reden, er sprach den Namen seiner Frau flüsternd aus und verwünschte sich zugleich selbst, daß er zu spät gekommen war.
Plötzlich aber war alles anders.
Zuerst hörte er das leise Lachen, und dann die Stimme, die ihn aus dem schattigen Dunkel des Wohnzimmers erreichte.
»Besuch, Henker…«
***
Das war es! Das war Alfons Buzea, der Killer, der Hundesohn, der verfluchte Mörder, das Tier, die Bestie!
Die Vergleiche wirbelten durch Cichons Kopf, und er fühlte sich wie in einer Falle.
Er hörte den schleichenden Schritt, wieder dieses Lachen. Jetzt wurde ihm klar, daß Buzea auf ihn gewartet hatte, um mit ihm abzurechnen. Er mußte den Tod seiner Frau vergessen, zumindest für die nächsten Minuten, nur so konnte er diesen Horror durchstehen.
Der Deckenzipfel rutschte ihm aus der Hand, und Gerdas Gesicht verschwand wieder unter dem Tuch.
Dann dreht sich Cichon um, wobei er zugleich einen kleinen Schritt zurückging.
Da er den Kopf gedreht hatte, konnte er den Mann sehen, der aus dem Schatten getreten war.
Er roch so wie immer.
Nach Knast, nach alter Kleidung, obwohl er sich neue gekauft hatte, aber dieser Geruch steckte in der Haut, und trotzdem war noch einer hinzugekommen.
So wie er mußte auch der Tod riechen.
Buzea lachte wieder. »Hatte ich dir nicht etwas versprochen, Henker?«
Cichon ging darauf nicht ein. »Was hast du mit ihr getan?«
»Sie ist tot.«
»Ja, ich weiß es.« Er sprach mit einer fremden Stimme. »Aber warum mußte sie sterben? Sie hat dir nichts, aber auch gar nichts getan, verflucht noch mal!«
»Ich bin das Schicksal.«
»Du bist ein Killer. Was hast du mit ihr gemacht? Zuvor, meine ich? Du hast ihr die Kleider vom Leib gerissen, nicht wahr?«
»Nein, das tat sie selbst.«
»Aber du hast sie dazu gezwungen?«
Buzea hob nur die Schultern und spitzte die Lippen, als wollte er bei der Erinnerung an die schrecklichen Dinge lächeln.
Anton Cichon ballte seine rechte Hand zur Faust und öffnete sie wieder.
Er spürte den Schweiß auf der Handfläche. Seine Gedanken waren nicht mehr vorhanden, sie trieben irgendwo in einer Leere herum. Seine Psyche schien ausgelöscht worden zu sein, er dachte auch nicht mehr an die tote Gerda, er sah nur den Umriß des Mörders.
»Du willst mit mir abrechnen, Buzea? Habe ich dich da recht verstanden?«
»Das hatte ich vor.«
»Gut, ich werde es auch tun. Auch ich will mit dir abrechnen, und ich werde gleiches mit gleichem vergelten. Ich werde dich erschlagen wie einen räudigen Hund. Ich werde all das in die Tat umsetzen, was ich dir versprochen habe. Aber ich werde es noch schlimmer machen, denn dieser Mord wird dich das Leben kosten.«
»Versuche es.«
Cichon ging noch mehr zur Seite. Die Sicherheit des anderen hatte ihn unsicher gemacht. Zudem mußte er damit rechnen, daß sich Buzea eine Waffe besorgt hatte. Er trug sie zwar nicht offen, aber mit seinen Fingernägeln hatte er Gerda bestimmt nicht getötet.
Buzea bewegte seinen Arm. Aus der rechten Hand schaute etwas hervor und blinkte auf.
Ein Messer, wahrscheinlich ein Rasiermesser. Cichon vermutete, daß es sein Messer war. Er bewahrte es im Badezimmerschrank auf.
Er schlug zu. Es geschah aus einem Reflex heraus. Er mußte es einfach tun, um einen ersten Schwall seines Frustes loszuwerden, und er hatte auf den Kopf des Killers gezielt.
Buzea lachte, als er auswich. Der Knüppel pfiff an ihm vorbei, und als Anton zum zweitenmal ausholte, wischte plötzlich das Messer sehr
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