0932 - Grausame Zeit
Stimme. Ich erwachte dabei wie aus einem Traum und hörte auch eine andere Stimme, die mich rief.
»He, John, was ist los?«
Ich blickte nach vorn. Im helleren Eingang der Höhle hatte sich Harry aufgebaut. Er stand dort leicht breitbeinig, die Sonne schien gegen seinen Rücken und gab der Gestalt einen harten Umriß.
»Ich komme.«
Nach einem letzten Rundblick verließ ich die Höhle. Harry war zur Seite getreten und schaute mich etwas seltsam an, als ich hinaus in den Sonnenschein trat und mich drehte, um den Glutball im Rücken zu haben. »Was ist los mit dir?«
»Nicht viel.«
»Doch, ich sehe es dir an. Da ist etwas geschehen. War die Höhle doch nicht so leer, wie wir gedacht haben?«
Ich gab keine Antwort, sondern ging zu einem Stein, um mich darauf niederzulassen. »Doch, Harry, sie war leer. Sie war sogar sehr leer, abgesehen von mir…«
»Aber?«
Er stand vor mir und ich schaute zu ihm hoch. »Plötzlich veränderte sich etwas«, berichtete ich mit leiser Stimme und hob dabei die Schultern.
»Ich weiß nicht, was es gewesen ist, aber die Veränderung war vorhanden. Einiges kam da zusammen. Ich hatte den Eindruck, als wollten sich Decke und Wände verdichten, und aus dieser Dichte hervor hörte ich plötzlich eine leise Stimme.«
»Das ist…«
»Laß mich aussprechen. Es war eine Stimme, die mir erklärte, daß ich die Kinder retten sollte…«
Harry Stahl sagte nichts. Auch er war überrascht worden und wirkte plötzlich blutleer. Ich sah, wie er schluckte, mit den Augen zwinkerte, dann die Luft ausstieß und zur Seite ging, als wollte er mich nicht mehr anschauen.
»Jemand war also in der Höhle.«
»Nein, Harry, nein«, erwiderte ich. »Es war niemand in der Höhle. Ich habe die Stimme trotzdem gehört.«
»Eine Geisterstimme.«
»So ähnlich.«
»Und sie wollte, daß du die Kinder rettest. Dann hat sie aus dem Unsichtbaren zu dir gesprochen, gewissermaßen aus einer anderen Welt.«
»Treffer!«
Er drehte sich wieder zu mir um. »Wenn ich das so richtig überdenke, zeigt es uns, daß wir unter Beobachtung stehen - oder nicht?«
»Wahrscheinlich.«
»Aber du weißt nicht, wer uns beobachtet. Du hast eben nur die Stimme gehört.«
»Alle richtig.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Fragen mehr. Nicht weil ich es nicht will, ich bin einfach nicht reif genug.« Er hob die Arme. »Ich komme nicht mehr mit und kann nur froh darüber sein, daß du bei mir bist und mir eventuell eine Erklärung geben kannst.«
»Das wird schwer genug werden, aber ich versuche es trotzdem. Die Stimme habe ich gehört und mir nicht eingebildet. Sie wiederholte den Satz nur einmal, und ich weiß genau, daß er sehr wichtig für uns und die Zukunft ist. Ich habe auch darüber nachgedacht - nicht ausschließlich über den Satz, sondern auch über die Stimme - und bin zu dem Entschluß gelangt, daß ich sie schon einmal gehört habe. Sie war fremd, aber nicht so fremd, verstehst du?«
»Nein.«
»War auch nicht gut ausgedrückt. Ich hörte sie schon einmal. Ich kenne sie, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wo ich sie kennengelernt habe.«
»Das ist schlecht.«
»Weiß ich.«
»Liegt es lange zurück?«
Ich überlegte. »Eine gute Frage, wirklich, aber ich kann dir darauf keine Antwort geben. Was ist lange? Drei Jahre, zwei Jahre, fünf Monate?«
»Da kann ich dir leider nicht helfen, John, so gern ich es tun würde.«
»Ist klar, Harry. Nur ist mir bei genauem Nachdenken noch etwas dazu eingefallen. Die Stimme gehörte weder einer Frau noch einem Mann, da muß ein Kind aus einer anderen Welt zu mir gesprochen haben. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
Harry Stahl mußte husten und verschluckte sich. Sein Mund stand plötzlich offen. »Das - das gibt es doch nicht. Ein Kind soll zu dir gesprochen haben? Du irrst dich!«
»Leider nicht. Zum Glück nicht.«
»Ein totes Kind. Quatsch.« Er winkte ab. »Der - der Geist eines Kindes, der keine Ruhe gefunden hat. Ist das so korrekt ausgedrückt?«
»Ja, wenn auch nicht zwingend. Es müßte so sein, Harry, da gebe ich dir recht, aber ich kann mich mit dem Gedanken nicht so recht anfreunden.«
»Was stört dich denn?«
»Wenn ich das wüßte. Ich kann mich nicht erinnern, in der letzten Zeit einen Fall erlebt zu haben, in dem ein Kind ums Leben gekommen ist. Zum Glück nicht.«
»Wenn man diesen Gedanken aufnimmt, kann man davon ausgehen, daß dieses Kind noch existiert?«
»Lebt, meinst du?«
»Auch das.«
Ich verfiel zunächst
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