0933 - Der erste Erbfolger
Jurg den Stein besser beherrschte? Gleichgültig!
Er stellte sich einen Blitz vor, der aus dem Loch im Astdach fuhr und Lucifuge Rofocale erschlug. Im nächsten Moment zuckte er vor dieser Vorstellung zurück. Es war ihm vermutlich ohnehin nicht möglich, den Ministerpräsidenten der Hölle zu vernichten. Aber falls doch, konnte er Tausende von Jahren später nicht erneut auf ihn treffen, wenn er ihn jetzt tötete. Da waren sie wieder, diese hirnsprengenden Gedanken über Zeitreisen!
Sie reichten aus, dass der Blitz zwar herabzischte, aber nicht genügend Energie besaß, um dem Dämon zu schaden.
Lucifuges gemeines Lachen erschallte. »Kommt hinter dem Altar hervor und sterbt wie Männer! Wenn ich euch erst holen muss, wird euer Tod sehr lange dauern!«
Dann eben anders!
Invo hatte sich um keinen Millimeter wegbewegt. Stattdessen starrte er noch immer Zamorra an. In seinen Augen lagen grenzenlose Enttäuschung und Traurigkeit.
»Jetzt lauf endlich! Bitte!«, zischte Zamorra.
Erneut konzentrierte er sich auf den Dhyarra und erschuf mit ihm drei Abbilder von Invo.
»Lauf!«, schrie er noch einmal.
Da sprang der Goldene auf und rannte Richtung Baumgrenze. Im gleichen Augenblick flitzten auch die Abbilder davon.
Tatsächlich gelang es Zamorra auf diese Weise, Lucifuge Rofocale lange genug abzulenken, um selbst aufzuspringen. Mit gezogenem Dolch wollte er über den Altar flanken, über das Baby hinweg, doch die steifen Finger seiner linken Hand knickten unter ihm weg und brachen mit einem hässlichen Knacken.
Zamorra spürte keinen Schmerz, aber er stürzte auf der anderen Seite des Altars zu Boden. Noch im Fallen schleuderte er den Dolch auf Lucifuge Rofocale. Natürlich konnte er ihm dadurch nicht schaden, aber vielleicht konnte er ihn lange genug ablenken, dass Invo die Flucht gelang.
Mit einem nachlässigen Wischen seiner rechten Klaue fegte der Dämon das Messer aus der Luft. Aber da war Zamorra schon wieder auf den Beinen und sprang ihm entgegen.
»Was für ein lächerlicher Wurm«, stieß Lucifuge noch hervor, dann erfolgte der Aufprall.
Auch wenn es sich anfühlte, als wäre er geradewegs gegen eine Steinmauer gerannt, spürte Zamorra erneut keinen Schmerz. Selbst als der Dämon den Wirtskörper des Professors in die Höhe stemmte und mit so viel Wucht gegen den Baumstumpf schleuderte, dass sein Rückgrat brach wie ein Streichholz, blieben leibliche Qualen aus.
Nur als er fühlte, wie sich seine Seele aus Jurgs totem Körper löste, überfiel ihn die geistige Pein. Hatte Invo fliehen können? Kam es zu einem Zeitparadoxon?
Wenn er in seinem eigenen Leib erwachte, würde er feststellen, ob sich die Welt verändert hatte. Falls es dann überhaupt noch eine Welt gab. Oder einen Professor Zamorra.
Dann wurde es dunkel um ihn.
Und gleich darauf wieder hell.
***
Gegenwart, Château Montagne
Dylan McMour traute seinen Ohren nicht. Hatte der Professor sie gerade gefragt, wer sie waren? Er sah auf den Dämonenjäger hinab, der noch immer auf dem Fußboden kauerte.
»Willst du uns veralbern? Wir haben uns schon Sorgen genug wegen deines Selbstmords gemacht! Und jetzt erschreckst du uns noch mit so etwas?«
Er ging einen Schritt auf Zamorra zu, doch der rutschte auf dem Hinterteil rückwärts über den Boden.
»Komm mir bloß nicht zu nahe!«, fuhr er Dylan an. Sein Blick irrte zwischen den Peters-Zwillingen, Anka, William und Dylan umher. »Und ihr anderen auch nicht! Erst will ich wissen, wer ihr seid und wo ich hier bin!«
Na bravo! , dachte Dylan. Von wegen reibungslose Rückkehr!
Was war los mit dem Meister des Übersinnlichen? War sein Gehirn zu lange ohne Sauerstoff gewesen? Hatte er einen Hirnschaden erlitten? Oder war er einfach nur zu… nun ja, zu tot gewesen, um in seinen Körper zurückzukehren?
»Vielleicht sollte ich doch den Notarzt rufen«, ließ sich William von der Seite vernehmen.
»Was ist denn los mit dir?« Dylan machte einen weiteren Schritt auf Zamorra zu. Der rutschte noch einen Meter zurück, bis er mit dem Rücken gegen den Schreibtisch prallte. »Erkennst du uns wirklich nicht, Zamorra?«
Panik keimte im Gesicht des Professors auf. »Zamorra? Ich heiße nicht…« Er sah an sich herab, streckte die Arme aus und drehte sie hin und her. »Was sind das für Sachen, die ich trage? Und warum verstehe ich eure Sprache?« Er ließ die Arme sinken und stieß mit der Hand gegen eine kleine Ausbeulung seiner Jackentasche. Sofort griff er hinein und zog den Dhyarra heraus. Die
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