0933 - Der erste Erbfolger
wirst du nur noch einmal sprechen. Wenn du ihn tötest, rufst du so laut, dass alle es hören können: Tod dem Zaer! Für den Rat, für Lemuria und für Invo Tanaar! Ansonsten sagst du kein einziges Wort mehr!«
Stracen zog das mentale Korsett fester und Zamorra fühlte, wie der Druck seine und Jesofs Seele zusammenpresste. Wie sie sich vereinten. Wie er immer mehr verblasste, erlosch und…
Plötzlich stand er vor dem goldenen Vorhang. Wie schon vorhin hatte er mehrere Minuten übersprungen oder im wahrsten Wortsinne sein Bewusstsein verloren.
Zamorra wollte an sich herabsehen, aber es gelang nicht. Noch immer konnte er Jesofs Körper nicht steuern. Doch das brauchte er nicht, um zu wissen, dass er blutbeschmiert war.
Tief in seinem Wirtskörper, ganz leise, hörte er ein Wimmern. Was habe ich getan? Was habe ich nur getan?
Hilflos mussten Zamorra und Jesof mit ansehen, wie der fremdgesteuerte Körper den Vorhang zur Seite riss und hinausrannte. Wie Stracen vorausgesagt hatte, sah keiner der Gardisten auch nur in seine Richtung. Die Besucher der Sitzung rissen die Augen auf. Der Professor las Entsetzen und Überraschung darin, dass ein blutbesudelter, bewaffneter Mann plötzlich hinter dem Zaer auftauchte. Noch bevor sich diese Gefühle in einem gemeinsamen Aufschrei Bahn brachen, fraß sich die Dolchklinge durch Haut und Fleisch des Zaer.
»Tod dem Zaer!«, plärrte Jesofs Mund.
Was habe ich getan? , jammerte seine Seele.
»Für den Rat, für Lemuria und für Invo Tanaar!«
Endlich fuhren die Gardisten herum und erkannten, was sich hinter ihrem Rücken abgespielt hatte. Die, die schon auf dem Podium standen, zogen ihre Schwerter.
Jesofs Arm hob den Dolch und sein Körper stürzte sich auf den nächstgelegenen Wachmann. Er kam genau drei Schritte weit, dann bohrte sich ihm scharfer Stahl in den Bauch und zerfetzte lebenswichtige Organe.
Zamorra fühlte keinen Schmerz, nur Bedauern darüber, wie schändlich Jesof missbraucht worden war. Vom Erbfolger . Von dem Menschen, der einst zu Bryont und zu Rhett werden sollte.
Dann wurde es dunkel um Zamorra.
Und gleich darauf wieder hell.
Er starrte auf knotige Finger voller Altersflecken und wusste, dass er noch immer nicht zu Hause angekommen war.
***
Gegenwart, Wales
Asmodis beobachtete die silberne Scheibe, die sich in dem magischen Kraftfeld über einer steinernen Säule langsam drehte. Blitze schossen wie aus dem Nichts auf sie herab, gleichzeitig zuckten Entladungen aus ihr hervor.
Zamorras Amulett. Merlins Stern.
Vor Monaten hatte der Meister des Übersinnlichen in seiner Not seine stärkste Waffe nach Caermardhin gebracht und sie ihm ausgehändigt. Die Fehlfunktionen hatten nach Merlins Tod überhandgenommen, dem Professor sogar beinahe das Leben gekostet. Deshalb hatte der ihn, Asmodis, darum gebeten, dem Problem auf den Grund zu gehen und es zu beseitigen.
Er hatte nach dem Ableben des alten Magiers dessen Amt als Diener des Wächters der Schicksalswaage übernommen. Außerdem war er Merlins Bruder, sodass sich aus Zamorras Sicht niemand besser dafür eignete, das Amulett zu reparieren, als der ehemalige Fürst der Finsternis.
Hätte der Parapsychologe die Wahrheit gekannt, sein Vertrauen wäre dahingeschmolzen wie Schnee in der Hölle. Asmodis lachte auf. Er liebte dieses von Menschen so überstrapazierte Bild.
Wie so häufig in der letzten Zeit hatte er seine neue Lieblingsgestalt angenommen, die eines drei Meter großen Teufels mit riesigen, gezackten Ohren und einem langen roten Schwanz. Auf seiner Schulter saß Kühlwalda. Die Kröte, die er in Caermardhins Gärten nach Merlins Tod gefunden hatte, begleitete ihn öfter durch die Weiten der Burg, die in mindestens acht Dimensionen hineingebaut war. Vor Kurzem hatte er einen Raum entdeckt, den Merlin in einer Blase der Zeitlosigkeit errichtet hatte. Egal wie lange Asmodis sich in dieser Kammer aufhielt, draußen verging keine einzige Sekunde. Eine nette Spielerei, wenn er auch noch nicht wusste, welchen Sinn sie haben sollte.
Asmodis sah zu Kühlwalda. Nur ein unbedeutendes und noch dazu hässliches Tierchen, natürlich, aber sie zeigte keine Scheu vor ihm, ließ sich willig durch Caermardhin tragen und diente ihm als Ansprechpartner für seine Monologe. Man konnte sagen, dass Asmodis geradezu einen Narren an der großen, warzigen, erdbraunen Kröte gefressen hatte.
»Glaubst du, Zamorra hätte mir etwas so Wertvolles auch überlassen, wenn er wüsste, dass ich die Schwefelklüfte nur auf
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