0933 - Die Horror-Mühle
befreit.
»Meinst du?«
»Ich schaue nach.« Sie löste sich von ihrem Bruder. Er sah sie schon, aber nur als düsteren Schatten, denn völlig finster war es in diesem Raum nicht. Da die Tür nicht ganz mit dem Boden abschloß, sickerte ein Lichtstreifen durch den Spalt.
Silvia bückte sich. Sie suchte nach der entfallenen Lampe, was nicht so einfach war. Der Gegenstand war etwas zur Seite gerutscht, und Jens hörte zu, wie die Hände seiner Schwester über den schmutzigen Boden glitten.
»Ich hab' sie!«
»Gut.«
Das Mädchen richtete sich wieder auf und trat an seinen Bruder heran.
»Willst du leuchten?«
»Und dann?«
»Du kannst es ruhig.«
»Hast du denn Angst?«
Silvia zögerte mit der Antwort. »Ein wenig schon. Ja, ich fürchte mich. Ich weiß nicht, was sich hier befindet. Aber daß etwas hier ist, das spüre ich deutlich. Ich habe so ein komisches Gefühl, verstehst du?«
»Gib schon her!« Jens hatte versucht, überlegen zu sprechen, was ihm nicht so recht gelungen war, denn das Zittern in seiner Stimme war nicht zu überhören gewesen.
Die Lampe wurde ihm zwischen die Finger gedrückt. Er umklammerte sie hart, als wäre sie so etwas wie ein Rettungsanker. Silvia hörte ihn atmen, dann drehte er sich von seiner Schwester weg, während der Finger nach dem Schalter tastete. Es war eine normale Stableuchte mit einem Gehäuse aus Kunststoff und deshalb relativ leicht.
Der Junge fand den Schalter und schob ihn nach vorn. Augenblicklich schnitt ein heller Arm in die Dunkelheit.
In Hüfthöhe strich er über den Boden und hinterließ auf dem Mauerwerk gegenüber einen hellen Kreis, der den beiden Kindern wie das Glotzauge eines Riesen vorkam.
»Leer?« hauchte Silvia.
»Weiß nicht…«
»Leuchte doch mal. Vielleicht gibt es doch ein Fenster, durch das wir klettern können.«
»Nee, das glaube ich nicht«, sagte der Junge und leuchtete die Wände ab. Nichts. Dann schickte er den Lichtschein zu Boden, und er sah auch die beiden Gegenstände, die dort standen.
Zwei weiße Särge.
Er wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken.
Deshalb gab Silvia mit zitternder Stimme ihren Kommentar dazu ab.
»Das sind Särge, Jens, das sind zwei weiße Särge. Und die sind für uns bestimmt…«
***
Jens Stolze konnte nicht sprechen. Seine Kehle war zugeschnürt.
Zudem hatte noch jemand einen Kloß in seinen Rachen hineingepreßt, und die Luft war ihm ebenfalls knapp geworden. Er sah die Särge, die fest auf dem Boden standen, aber er sah auch, wie sie sich bewegten, denn sie schwangen hin und her, als befänden sie sich auf einem schwebenden Floß.
Nein, so war es nicht. Es lag an ihm. Der Junge schwankte. Er war wie vor den Kopf geschlagen. Das Licht und die beiden Särge drehten sich vor seinen Augen. Zugleich erinnerte er sich noch an die letzten Worte seiner Schwester.
»Sie sind für uns…«
Stimmte es? Hatte sie recht? Waren die beiden Särge nur für sie beide gedacht?
Ja, man mußte es so sehen, denn sie waren Kinder, und sie wußten auch, daß Kinder zumindest in ihrer kleinen Stadt in weißen Särgen beerdigt wurden. Das hatten sie einmal erlebt, als eine Schulkameradin verunglückt war. Sie waren bei der Beerdigung gewesen und hatten dort auch einen weißen Sarg gesehen.
Jetzt standen sie hier. Ähnliche oder gleiche Särge, die sich wie ein Ei dem anderen glichen.
Silvia stand etwas von ihrem Bruder entfernt, trat aber jetzt näher an ihn heran, denn sie wollte seine Wärme spüren.
Sie merkte, wie er zitterte. Er stand - ebenso wie sie - unter einem wahnsinnigen Druck. Für ihn war es schon ein Wunder, daß ihm die Lampe nicht aus der Hand gerutscht war, denn zwischen ihr und seiner Haut hatte sich ein Schweißfilm gebildet.
Er schluckte, doch die Flüssigkeit stieg wieder in die Höhe. Dann wurde ihm schwindlig, und er versuchte, sich an Silvia abzustützen.
Aber ihr erging es ähnlich. Auch sie war nicht in der Lage, normal zu stehen. Sie schwankte hin und her, und aus ihrem Mund drangen schluchzende Geräusche. Laute, die zwar von einem Menschen stammten, aber auch zu einem Tier gepaßt hätten. Dieses verzweifelte Schluchzen, eine Folge der Erkenntnis darüber, was Buzea mit ihnen vorhatte. Er würde sie in die Särge stecken, sobald sie tot waren.
TOT!
Auch Jens konnte nicht sprechen. Er weinte still. Er ließ dabei langsam den Arm sinken, und der helle Strahl bewegte sich. Er senkte sich dem Boden entgegen und fiel wie ein Schleier von den beiden Särgen
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