0933 - Die Horror-Mühle
sich die Geschwister an. So ähnlich mußte es auch Hansel und Gretel ergangen sein, die sich im dunklen Wald verirrt hatten.
»Schaut euch um!« flüsterte Buzea. »Schaut euch erst mal um. Das hier wird für kurze Zeit eure Heimat sein.« Den Hintersinn der Bemerkung verstanden die Kinder nicht. Sie waren ins zweite Glied gedrängt worden. Der Mann hatte sie zudem völlig verunsichert, ihre Vorfreude und Spannung auf das Neue war gekippt.
Nun regierte die Furcht.
Viel sahen sie nicht. Dazu war es einfach zu düster. Im unteren Teil war das Mauerwerk der Mühle zwar durch Fenster unterbrochen worden, die allerdings ließen nicht viel Licht durch. Vor den Öffnungen zeichneten sich vor ihnen zahlreiche Spinnweben ab, die im Licht der Sonne einen schon kostbaren Glanz angenommen hatten.
Der Boden bestand zumeist aus Stein. Einige alte Dielen sahen so aus, als wären sie hineingepreßt worden. Ein Mahlwerk war nicht zu sehen, das gab es weiter oben, wo sich auch der große Trichter befinden mußte, in den das Korn geschüttet wurde.
Damals zumindest, heute nicht mehr. Da war die vielleicht auch romantische Mühle zu einem schon unheimlichen Ort degradiert worden.
Schatten hatten sich in die Ecke gelegt. Sie waren nicht gestaltlos. Wenn die Kinder genauer hinschauten, entdeckten sie eine alte Truhe. Es gab auch eine schlichte Bank, und dann schälte sich ein Tisch aus dem schwachen Wechsel zwischen Licht und Schatten hervor.
Zwei schmale Bänke sahen sie auch. Eine Taurolle bildete einen kleinen Hügel.
Silvia und ihr Bruder hielten sich noch immer fest. Sie zwinkerten beide, als sie das Sonnenlicht blendete. Dann entdeckten sie eine Stiege aus dicken Holzstufen mit einem kräftigen Geländer an der Seite. Früher mußte der Müller seine Säcke dort hochgeschleppt haben, heute lag auf den Stufen dick der Staub.
Sie blieben vor der Treppe stehen. Ihre Lippen zuckten. Wohl jeder wollte etwas fragen, aber keiner traute sich, den Anfang zu machen.
Zudem hielt sich Alfons Buzea ebenfalls in ihrer Nähe auf. Sie sahen ihn nicht, aber sie hörten, wie er sich ihnen näherte. Holzdielen und -bohlen knarrten.
»Gefällt es euch?«
Die Kinder spürten abermals den Druck der Hände auf ihren Schultern und schwiegen.
»He, warum sagt ihr nichts?«
»Es ist so düster!« flüsterte das Mädchen.
Buzea kicherte. »Richtig, meine Kleine, es ist düster. Es ist sogar sehr düster. Ich lebe hier im Reich der Schatten, aber ich habe auch das Licht. Nur kann ich euch sagen, daß die Schatten überwiegen. Ich liebe sie, versteht ihr? Ich liebe es, wenn die Schatten kommen und mich umfangen, denn diese sind für mich die Botschafter aus einem anderen Reich. Sie lieben mich, ich liebe sie. Ich freue mich, wenn ich sie sehe, dann weiß ich, daß ich zu Hause bin.«
»Da will ich auch wieder hin«, sagte das Mädchen mit weinerlicher Stimme. »Ich - ich will wieder nach Hause!«
Auf so etwas hatte Buzea gewartet. Das amüsierte ihn. Er freute sich darüber. Er war aufgeputscht, wenn er so etwas hörte. Dann fühlte er sich wie ein König, der über sein Volk bestimmen konnte, auch wenn dieses Volk nur aus zwei Personen bestand. Früher hatten andere über ihn bestimmt, heute war er der Herr.
»Das hier ist jetzt euer Zuhause, meine Lieben. Genau das. Ich mag es sehr. Ich bin hier der König. Ihr seid mit mir gekommen, und ihr werdet euch noch wohl fühlen.«
»Nein, nein!« quengelte Silvia. »Ich will es nicht. Ich will hier nicht bleiben und…«
»Du wirst es müssen, Kleine. Ich habe euch geholt, denn ich brauche euch. Ich werde euch mit meinen Heiligen bekanntmachen. Keine Sorge, es wird alles wunderbar sein. Die Mühle ist alt. Sie steckt voller Geheimnisse. In ihnen lauert das Unheimliche und das Fremde. Kennt ihr das Fremde?«
»Nein«, sagte Jens.
»Dann habt ihr bisher Pech gehabt. Aber ihr werdet es sehen. Ich habe alles vorbereitet. Geht hoch. Los, geht die Stiege hoch! Da oben wird eure Welt sein.«
Sie wollten nicht, denn sie hatten das Gefühl, daß alles anders wurde, waren sie einmal oben. Da gab es dann keine Tür mehr, durch die sie nach draußen schlüpfen und verschwinden konnten. Dort lag eine andere Welt, die beide zwar nicht kannten, von Silvia aber wie eine böse Märchenwelt empfunden wurde. Dort oben befand sich etwas Schlimmes. Sie sah nicht mal das Ende der Treppe, denn die letzte Stufe verschwand wie in einem dunstigen Staub.
»Ihr müßt dahin!« flüsterte der Mann. »Ihr müßt einfach
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