0934 - Der Schlüssel zur Quelle
fragte Kathryne. »Um wieder ein Teil von Anka zu werden?«
»Anders gefragt: Hast du dich abreagiert?« Dylan grinste angriffslustig, und Kathryne hätte ihn schlagen können. Seine Sticheleien trugen nicht gerade dazu bei, die Situation zu entspannen. Wenn Anne wiederkommen wollte, sollten sie alles Erdenkliche tun, um dies zu gewährleisten. Wie sonst ließ sie sich kontrollieren? Beleidigungen halfen niemandem, auch wenn sie gerechtfertigt sein mochten.
»Ich bin wegen euch gekommen«, antwortete Anne unbeeindruckt. Der Regen lief ihr in Sturzbächen vom Kopf, doch sie schien ihn zu ignorieren und nur Augen für Kathryne zu haben. »Wegen euch beiden. Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, unser… Problem zu lösen.«
»Welches von den zwanzigtausend?«, fragte Dylan spöttisch und schnaubte leise. »Sorry, aber in all dem Trubel hier verliert man leicht den Überblick.«
Anne lächelte verständnisvoll. »Wie heißt es in diesem Lied? Ich zähle täglich meine Sorgen…«
»Bloß nicht.« Dylan winkte ab. »Damit wäre ich länger als einen Tag beschäftigt und käme nicht nach.«
Kathryne glaubte ihren Augen und Ohren nicht, sah von einem zum anderen. Standen die beiden hier im Regen und plauderten wie alte Freunde! Spielten sich die Bälle zu. Uraltscherze? Was hatte denn diesen Stimmungswechsel herbeigeführt? Und sollte sie überhaupt dazwischen gehen? Oder arbeitete Dylan ihr mit seinen verbalen Belanglosigkeiten etwa in die Hände?
Kathryne entschloss, es nicht darauf ankommen zu lassen. Solange sie das Ruder in der Hand hatte, würde sie die Richtung angeben. Niemand sonst. So einfach war das. »Welche Lösung, Anne?«, fragte sie ruhig.
Die Angesprochene reagierte prompt. »Sie steht da hinten«, antwortete sie ausweichend und deutete auf den nahen Waldrand. »Kommt mit, dann zeige ich sie euch.«
Nun lachte Dylan laut auf. »Für wen hältst du uns? Für treudoofe Hänsel und Gretel? Komm du zu uns, werde wieder zu Anka. Dann - und zwar nur dann - können wir über einen Ausflug ins Grüne nachdenken. Richtig, Ank… ähm, Kathryne?«
Kathryne schwieg, den Blick stumm auf ihr Ebenbild gerichtet.
Und Anne blinzelte nicht einmal. »Damit habe ich gerechnet«, sagte sie schlicht.
Kathryne machte einen Schritt nach vorn, auf den magischen Schutzschirm zu - und auf ihre Doppelgängerin. Sie wollte Anne halten, ergreifen, zu sich zwingen und diesem Wahnsinn ein Ende bereiten.
»Damit auch«, sagte Anne.
Dylan trat zur Seite, legte der Freundin eine Hand auf den Arm. »Was machst du? Das alles stinkt doch geradezu nach einer Falle. Merkst du das nicht?«
Doch Kathryne schüttelte die Hand ab. Mein Ruder, meine Richtung! »Klar merke ich das. Aber es macht keinen Unterschied. In diesem Spiel gibt es Wichtigeres als mich. Wenn ich es nicht schaffe, mich wieder mit Anne zu vereinen…«
Dann war sie an der Grenze, trat über die mit magischer Kreide gezogenen Markierungen auf dem Boden, die täglich neu gezeichnet wurden, und ins Freie.
»Kathryne! Nein!«
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Rhett und Zamorra angelaufen kamen. Die Augen des Erbfolgers waren schreckgeweitet, und auch der Professor wirkte, als gefiele ihm das, was sich wenige Meter vor ihm abspielte, keineswegs. Kathryne verstand sie gut, aber es war egal. Sie konnten nichts ausrichten. Das konnte nur Kathryne selbst.
»Komm zu mir«, forderte sie Anne auf. »Lass uns wieder ein Wesen werden, eine Existenz. Nur gemeinsam sind wir komplett.«
»Nein!« Rhett schrie abermals so laut, dass sich seine Stimme überschlug. »Das ist ein Trick! Es muss einer sein.«
Dann waren er und Zamorra herbei. »Ich weiß, warum du hier bist«, fuhr der Erbfolger Anne an. »Du willst den Auserwählten herauslocken, oder? Was hat McCain dir geboten, Anne? Wie teuer ist ein Verrat am eigenen Spiegelbild?«
Nun war es an Dylan und Kathryne, die Augen aufzureißen. »Den Auserwählten?«, keuchte Dylan. »Meinst du etwa…«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Rhett, nicht!«
Doch es war zu spät. »Ich meine dich, Kumpel«, sagte der Junge. »Sorry, dass du es auf die Weise erfahren musst, aber du bist genau das, was McCain noch braucht, um zur Quelle des Lebens vorzustoßen. Deswegen kann ich nicht zulassen, dass du über diese magische Grenze trittst. Bleib hier. Bleibt alle hier - in Sicherheit.«
»Oh Kacke…« Dylans Gesicht hatte plötzlich jegliche Farbe verloren. Mit offenem Mund stand er da, sein ganzes Wesen ein einziges Fragezeichen.
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