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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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das er gestern noch genommen hatte? Doch damit war es ihm doch früher nie so gegangen.
    Wieder versuchte er, sich zu erinnern, was er gerade tat. Warum stand er hier auf einer erhöhten Plattform? Er war doch gerade erst wieder ins Bett gegangen, nach diesem schrecklichen Albtraum, den er in der Nacht gehabt hatte. Es war merkwürdig: Jede Einzelheit der Yomi, der unteren Welt der Verstorbenen stand ihm noch vor Augen, die düstere Landschaft, der graue Aschestaub, der über allem hing, die Knochen, auf die man allenthalben trat, die schattenhaften Geister, die ihn bedrängten.
    Doch diese Welt, in der er sich jetzt befand, war nur ein Schemen. Eine blasse Erinnerung, verzerrt und verschwommen. Ein böser Traum, aus dem er nur noch erwachen wollte, aber nicht konnte.
    Er stand also hier, trug ein Schwert, einen blauweißen Kittel mit einer Art rotem Zeichen darauf. Doch wozu das alles? Musste er mit jemandem kämpfen? Er hatte das Gefühl, neben sich zu stehen und sich selbst zuzusehen, während sich sein Körper bewegte. Diese Bewegung. Sie sieht kompliziert aus, sicher muss sie lange geübt werden - woher weiß dieser Körper das?, wunderte er sich. Er hatte keine Ahnung, warum dieser weißblaurot angezogene Körper so aussah. Die Hand so abspreizte. Wieso ging er auf einem Bein in die Hocke, während die Hand, die das Schwert hielt, nach vorne stieß?
    Noch während er überlegte, warum das so alles so war und ob es sich wirklich um seinen Körper handelte - nun, er glaubte daran, also war es doch auch so, nicht wahr? -, befand er sich auf einmal in einem (seinem?) Garten. Jedenfalls deuteten das Rauschen von Wasser, die grünen, kleinen Kiefern und das grelle Sonnenlicht darauf hin. Er stand neben einer Frau - kannte er sie? Wenn ja, woher? Er wusste es nicht - und sprach mit ihr. Sie schien geheimnisvoll, da war eine Quelle der Energie bei ihr - in ihr? -, die ihn anzog, auch wenn diese Energie so fremd war, als wäre sie aus den Tiefen des Universums gekommen. Auf einmal spürte er - war er Ieyasu? Oder war er jemand anderes? Etwas anderes? - leisen Hunger danach. Doch er fühlte auch, jetzt, zu diesem Zeitpunkt, war die Energie noch nicht gut für ihn. Später. Eines nach dem anderen. Noch fühlte er, dass sein Zustand jetzt gut war.
    Nein, nicht gut. Ein Albtraum , dachte er für einen Moment, doch das hatte er - oder jemand anders? Etwas anderes? - einen Augenblick später schon wieder vergessen.
    Er warf dieser Frau, die so attraktiv - nein, nahrhaft - zu sein schien, noch einen Blick zu und verschwand. Es war an der Zeit, aus sich selbst - ja, er war jemand anderes - auch das Letzte herauszuholen. Vielleicht war er dann stark genug, sich auch diese fremde Energie einzuverleiben.
    Damit auch diese ihn für seine Aufgabe - Aufgabe? Welche Aufgabe? Verschwinde, es ist nicht meine Aufgabe! - stärken konnte.
    ***
    Der Garten befand sich im inneren Hof des u-förmigen Theatergebäudes und lag still und verlassen im Sonnenglast da. Nicole musste blinzeln, als sie aus dem nach Reisstroh duftenden, dämmrigen Inneren des Foyers in die Miniaturlandschaft hinaustrat. Sie war in ihre flachen Ballerinas geschlüpft und hatte diesmal die Strohsandalen verschmäht.
    Noch war es nicht sonderlich warm in der Sonne, doch das Rauschen des kleinen Wasserfalls' wirkte beruhigend. Im Hintergrund klackte es leise und hohl, in regelmäßigen Abständen wiederholte sich das Geräusch. Nicole sah sich suchend um.
    Dahinten. Ein Brunnen aus Bambus. Sie ging dorthin und betrachtete das im hellen Mittagslicht glitzernde Wasser, das in eine Schale lief, die an einem Scharnier mit einem Klacken umkippte, sobald sie vollgelaufen war. Das Wasser floss in einen winzigen Bach, der in Richtung des Teiches lief. Nicole folgte dem eilig hierhin und dorthin durch kunstvoll arrangierte Steine, Schilf und kleinere Bambusbüsche plätschernden Wasser mit den Augen, bis ihr Blick auf den Teich fiel, in den sich der Bach nach einigen Kurven ergoss.
    Sie staunte. Der ganze Garten breitete sich von hier aus vor ihr aus und eröffnete ihr eine ganz andere Sicht auf die kleine Landschaft, als Ieyasu ihr gestern gezeigt hatte. Doch dann stockte ihr der Atem, als sie von hier auf die Felswand sah, an der der Wasserfall in den Teich herunterprasselte.
    Das ganze Arrangement des Gartens sah von hier aus haargenauso aus wie der Lavasee, an dem immer ihre Albträume spielten: die Felswand, das Wasser davor wie die Lava, die Koikarpfen und Goldfische, die

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