0939 - Wenn der Satan tötet...
dem Berg.
»Wenn jemand so etwas tut, das ich nicht begreifen kann«, sagte sie, »dann muß es doch einen Grund geben. Es geschieht nichts ohne Motiv. Was bringt ihn dazu, die Menschen umzubringen? Nun, jetzt ist es die Rache. Was hat ihn damals geleitet?«
Ich wiegte den Kopf. »Es ist wirklich nicht einfach, seinen perversen Gedanken zu folgen. Soviel uns bekannt ist, wollte er eine Welt nach seinem Geschmack. Er allein wollte sie lebenswert machen und alles, was seiner Meinung nach nicht paßte und nicht vollkommen war, einfach vernichten. Töten, ausradieren, und das hat er leider geschafft, so schlimm es sich auch anhört. Er hat Kinder getötet und Erwachsene, wir wissen nicht, wie viele, aber sie alle waren in seinen Augen nicht perfekt. Den letzten Mord verübte er an einem achtzehnjährigen Mädchen.«
Die Oberin war bleich geworden. »Ich habe viel Verständnis für die Menschen, aber so etwas kann ich nicht begreifen, das kann ich auch nicht verzeihen.«
»Wie recht Sie haben.«
»Bitte, Monsieur Sinclair«, flüsterte Daniele. »Bitte, finden Sie diesen Unmenschen! Ich kann Sie nur darum bitten, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Er darf nicht weiter auf die Menschheit losgelassen werden, das steht fest.«
»Nichts anderes haben wir vor.«
Der Abbé hatte sein Gespräch beendet und legte auf. Wir schauten ihm gespannt entgegen. Er schüttelte den Kopf und lächelte dabei. »Es ist alles ruhig bei uns.«
»Sehr gut.«
»Ich habe meinen Brüdern natürlich mitgeteilt, daß sie die Augen nicht verschließen sollen. Sie rechnen also damit, daß ein Fremder erscheinen wird, und ich habe Ihnen auch erklärt, welche Gefahr er darstellt. Allerdings habe ich auf Einzelheiten verzichtet. Sie wissen nur, daß er mich unter Umständen töten will.«
»Dann können wir fahren«, sagte Suko.
»Ich habe nichts dagegen.«
Auch die beiden Nonnen erhoben sich, als wir aufstanden. Sie brachten uns noch bis zur Tür und gingen auch mit nach draußen, wo es frischer geworden war, denn die Sonne sank bereits als roter Ball dem Meer entgegen.
Der Wind wehte gegen ihre Kutten. Ich hatte zudem das Gefühl, daß er auch die Tränen der beiden Frauen trocknete. »Machen Sie es gut«, flüsterte die Oberin. »Stellen Sie die Bestie und führen Sie diese Person der gerechten Strafe entgegen. Er will alles perfekt haben, aber ist die Hölle, der er dient, denn perfekt?«
»Für ihn schon«, antwortete ich.
Damit war die Oberin nicht einverstanden. »Nein, Monsieur Sinclair, nein, denn die Hölle ist das unvollkommenste Gebilde, das man sich nur vorstellen kann.«
»Ich weiß.«
»Gott sei mit Ihnen«, sagte die Oberin zum Abschied. Sie und auch Schwester Daniele schauten zu, wie wir in den Laguna stiegen. Wir waren froh, diese beiden Frauen als Helferinnen kennengelernt zu haben, denn nicht jeder hätte einen Toten versteckt.
Wir würden uns auf der Fahrt abwechseln. Suko übernahm zuerst das Steuer. Ich stellte meinen Sitz etwas zurück und versuchte auch, ein wenig Schlaf zu finden.
Es war nicht möglich.
Immer wieder sah ich das Bild eines dunkel gekleideten und vermummten Phantoms vor mir, das mit einem langen Messer auf die Menschen brutal einstach…
***
Wieder stand das Glück auf Carlos' Seite, denn es war eine Fahrt gewesen, die ihm gefallen hatte.
Auf dem Bahnhof von Amiens hatte er noch vierzig Minuten warten müssen, eine Zeit, die auch vorbeigegangen war. Er hatte eine Tasse Kaffee getrunken und sein Geld nachgezählt. In der Sakristei hatte er es gefunden, es war nicht mal so wenig gewesen, und es hatte in einer Kassette gelegen.
Knapp dreitausend Francs. Wahrscheinlich war es eine Spende der Gemeinde gewesen, die der Pfarrer erst noch hatte abliefern sollen. Dazu war es nicht mehr gekommen.
Die Fahrkarte, sogar erster Klasse, war davon bezahlt worden, und Carlos hoffte, ein Abteil für sich allein zu haben, wo er in Ruhe die Nacht verbringen konnte.
Am frühen Morgen würde es Toulouse erreichen und von dort zu seinem Ziel weiterfahren.
In den letzten dreißig Jahren hatte sich vieles verändert. Carlos war sehr schnell mit den neuen Errungenschaften der Technik zurechtgekommen, und schon damals hatte er den Führerschein gemacht. In Toulouse würde er sich ein Auto mieten.
Der Mann war sehr bald kontrolliert worden. Dann hatte er es sich bequem gemacht, die Beine auf den gegenüberliegenden Sitz gelegt und war eingeschlafen.
Niemand störte ihn, während der Zug in Richtung Süden fuhr
Weitere Kostenlose Bücher