0941 - Echsenauge
haben, denn nur er konnte diese Geschöpfe erschaffen.
Sie freute sich. Mit der normalen Hand strich sie über die andere und auch den Arm hinweg. Sie öffnete die Faust, streckte die veränderte Hand so weit wie möglich, schloß sie wieder zur Faust und streckte sie noch einmal, als wollte sie die Geschmeidigkeit überprüfen.
»Du bist das Opfer!« Plötzlich sprach sie wieder. »Du bist das Opfer für den Echsengott.«
Er hatte verstanden. Echsengott! Der Begriff rotierte durch seinen Kopf, und Kurt wollte es nicht wahrhaben. Ein Echsengott war furchtbar. Er war eine Gestalt aus dem Märchen, aus einer Sage. Er glaubte nicht, daß es ihn tatsächlich gab.
»Nein - nein…«
»Er wird dich holen. Er hat mich geschickt, er hat mich…«
Da reagierte der Mann. Er glaubte, die Person von sich abgelenkt zu haben und rollte sich blitzartig herum, auf die Kante des breiten Betts zu, über die er den Boden zu erreichen suchte.
Die Drehung schaffte er.
Dann aber schüttete jemand Säure auf seinen Rücken. Jedenfalls kam es ihm so vor. Der Schmerz traf ihn dermaßen überraschend, daß er zwar schreien wollte, aber stumm blieb, obgleich er den Mund schon aufgerissen hatte.
Da wußte er, was geschehen war. Keine Säure, war es gewesen, sondern Deliah hatte mit ihrer verfluchten Echsenhand zugeschlagen, und die langen Krallen hatten seinen Rücken aufgefetzt.
Er keuchte, aber er machte weiter.
Als er das Lachen hörte, kam es ihm vor wie ein Adrenalinstoß. Noch einmal bewegte er sich und schaffte es diesmal, sich über die Kante zu rollen und auf dem Boden zu landen.
Der Aufprall war in seiner Lage nicht schlimm. Er freute sich sogar darüber, denn ein zweiter Hieb hatte ihn nicht erwischt. Zugleich wußte er, daß er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen konnte.
Auch zwischen Bett und Wand steckte er in der Klemme, denn noch befand sich Deliah über ihm.
Von diesem Augenblick an kämpfte Kurt Latow um sein Leben. Trotz der Schmerzen im Rücken schnellte er in die Höhe. Er stützte sich dabei an der Wand ab und drehte sich. Sein Blick galt Deliah, die ihn nicht verfolgt hatte und auf dem Bett kniete. Sie hatte sich allerdings zum Fußende hin zurückgezogen. Dort lauerte sie und wollte ihm wahrscheinlich den Weg abschneiden.
Als Deliah bemerkte, daß sie angeschaut wurde, schüttelte sie den Kopf und lächelte dabei. Der Mann verstand die Geste. Sie sollte ihm sagen, daß er an ihr nicht vorbeikam.
Aber Kurt mußte weg. Es gab keine andere Möglichkeit für ihn. Er mußte dieses Zimmer verlassen.
Durch das Fenster springen, traute er sich nicht. Außerdem hätte er den Vorhang zur Seite ziehen müssen. Es hätte zuviel Zeit gekostet.
Auf der hellen Unterlage des Betts malten sich rote Sprenkel ab. Sein Blut, das aus der Rückenwunde gespritzt war. Bei diesem Anblick wurde er sich der Schmerzen bewußt, die seinen Rücken noch immer unter Kontrolle hielten. Das Brennen war schlimm. Er hätte schreien können, aber die Furcht vor der Zukunft war noch schlimmer, und so preßte er die Lippen zusammen und verhielt sich ruhig.
Es war ihm auch egal, daß er nackt war. Es zählte allein die Rettung des Lebens, alles andere kümmerte ihn nicht.
Deliah wartete. Sie erinnerte ihn tatsächlich an ein Reptil, das auf sein Opfer lauerte und nur auf eine bestimmte Regung oder Bewegung wartete.
Für Kurt gab es nur den einen Weg.
Das wußte sie, das wußte er. Es waren nur Sekunden seit dem ersten Schlag vergangen, ihm kam es trotzdem vor wie eine kleine Ewigkeit. Urplötzlich überwand er den eigenen Schweinehund und startete. Er war dabei schnell, sehr schnell, wunderte sich über sich selbst und hatte schon Hoffnung, es zu schaffen, denn Deliah rührte sich nicht. Sie hockte am Fußende und lauerte.
Er lief.
Jeder Schritt kam ihm doppelt so lang vor. Die Zeit war für ihn zu Kaugummi geworden. Sie zog sich lang hin, sie wurde auch immer länger, das Zimmer veränderte sich vor seinen Augen, er hatte das Gefühl, einfach wegzufliegen.
Was sich innerhalb einer oder zwei Sekunden in seinem Kopf abspielte, darüber konnte er sich nur wundern, und Kurt hatte für einen Moment die Hoffnung, es zu schaffen.
Bis ihn das Auge bremste.
Es war kaum zu fassen. Er sah es vor seinen Augen. Er sah die Hand, die Schuppen, die langen, dunklen Nägel oder Krallen, er sah nur dies eine, als hätte sich seine gesamte Umgebung damit gefüllt, und dann war plötzlich der rote Vorhang vor seinem Gesicht, der bei ihm auch die
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