0941 - Echsenauge
wohnen. Den persönlichen Touch, die vertraute Note, vermißte ich. Dieser Bewohner oder Mieter mußte sich ebenso fremd vorkommen wie ich.
Es war eine Klinik und kein gemütliches Haus. Ich würde mich hier nicht Wohl fühlen können, das stand fest.
Mit einem Rundblick hatte ich herausgefunden, daß sich in der geräumigen Küche ebenfalls niemand aufhielt. Sie zeigte auch keine Blutspuren, es war alles okay, auch das helle Telefon paßte zur Einrichtung. Ich wählte die Nummer des Notrufs, identifizierte mich und beorderte so schnell wie möglich den Notarzt herbei.
Danach ging ich wieder hoch. Der Mann lag noch immer an derselben Stelle. Er hatte den Kopf zur Seite gedreht. Das Laken klebte auf seinem Rücken. Rote Flecken zeigten an, wo sich die Striemen befanden. Auch unter dem Gesicht war eine Blutlache zu sehen.
Als ich mich neben ihn kniete, zuckte er mit dem rechten Auge. »Der Arzt wird gleich hier sein und Sie versorgen«, sagte ich leise. »Wer hat es getan?«
»Danke…«
Ich wiederholte meine Frage. Ich wußte, daß ich ihn möglicherweise damit quälte, aber es gab keine andere Chance. Diese Person durfte keine weiteren in die Klauen bekommen.
»Deliah…«
»Das hatte ich mir gedacht. Ich hatte nur die Bestätigung haben wollen.«
»Wie tat sie es.«
»Mit der Krallenhand.«
»Überlegen Sie genau.«
»Krallenhand…«
»Wie ist das möglich?«
»Aus der Hand wurde eine Kralle.« Er sprach nicht mehr weiter. Hoffentlich würde er nicht bewußtlos werden. Die Schmerzen schienen ihn regelrecht zu foltern.
»Wenn Sie nicht sprechen können, dann…«
»Ich will!« brachte er langsam hervor. »Die Frau ist eine Bestie. Eine Hand wurde zur Kralle. Ein Auge in der Handfläche. Ich habe es gesehen. Es glotzte mich an. Sie hat ein drittes Auge in der Hand. Sie wurde zur grünen Kralle. Sie war mit Schuppen bedeckt. Ihre Fingernägel waren nur noch Krallen. Sie ist sehr schön, aber sie ist auch grausam. Sie war nackt. Ich wollte mit ihr ins Bett, sie war einverstanden, dann aber wollte sie mich töten, ihrem Götzen opfern, Echsengott - ich - ich…«
Seine Stimme versagte. Für einen Moment sah ich den Ausdruck von Panik in seinem rechten Auge, dann wurde der Mann erlöst.
Er starb nicht. Er wurde nur bewußtlos. Ich hoffte, daß er stark genug war, um die nächsten Stunden zu überstehen und wurde selbst nervös, weil der Notarzt noch nicht eingetroffen war.
Im Schlafzimmer hatte ich die Kleidungsstücke auf dem Boden liegen sehen. Ich durchsuchte sie und fand auch einen Ausweis, der auf den Namen Kurt Latow ausgestellt war.
Gehört hatte ich ihn noch nie. Dieser Name begegnete mir heute zum erstenmal.
Ich steckte ihn wieder weg und sah auch die Kleidung der Frau auf dem Boden liegen. Falls sie es nicht geschafft hatte, andere Dinge mitzunehmen, mußte sie jetzt nackt durch die Dunkelheit laufen.
Auch nicht eben das Wahre.
Der jaulende Klang einer Sirene zerschnitt die Stille der Nacht Das Wimmern hörte sich unheimlich an. Man konnte dabei schon eine Gänsehaut bekommen, und ich wartete nicht mehr länger im Schlafzimmer, sondern ging nach unten. Vor dem Haus blieb ich stehen. Ich sah, wie der Wagen heranfuhr, stellte mich auf die Straße und winkte mit beiden Händen, als mich der Schein erfaßte.
Der Fahrer bremste. Der Wagen kam zum Stehen. Als der Notarzt den Wagen verlassen hatte, führte ich ihn in das Haus. Unterwegs erklärte ich ihm schon, was ich gesehen hatte.
Uns folgten zwei junge Männer mit einer Trage. Der Arzt selbst war auch nicht viel älter.
»Ist der Mann von einem Tier angegriffen worden?«
»So ähnlich, Doc.«
Ich war in den folgenden Minuten nur Statist, deshalb dachte ich darüber nach wie es weiterging.
Diese Deliah mußte geschnappt werden. Hierher würde sie sicherlich so bald nicht mehr zurückkehren, und ich fragte mich, wo sie sich die Nacht über verbergen konnte.
Eigentlich war es leicht, darauf eine Antwort zu finden. Sie kannte sich im Zoo aus. Dort, wo sich die Reptilien befanden. Das war eigentlich ihre Welt.
Die Helfer verließen die erste Etage. Die Träger hatten Latow hingelegt. Der Arzt hielt eine Flasche mit Nährlösung in der Hand, die durch einen Schlauch mit dem Verletzten verbunden war. Ich kam noch dazu, einige Fragen zu stellen, während ich neben den Männern her zum Wagen lief. Mir erklärte man, daß es höchste Eisenbahn gewesen war, denn der Verletzte hatte viel Blut verloren.
»Wie stehen seine Chancen?«
Der Arzt
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