0943 - Herren aus der Tiefe
hätten diese Stadtväter, von denen Sie mir erzählten, zugeschlagen. Was, sagten Sie, waren sie? Die Götter dieses Ortes?«
»So in der Art«, gab sie zähneknirschend zu. »Der Legende nach waren sie schon immer hier, noch vor den Ureinwohnern, mit denen sie so lange in friedlicher Koexistenz lebten, bis der weiße Mann kam und sich das Land zu eigen machte. Die Indianer hatten den Stadtvätern gehuldigt, heißt es. Die Siedler aber gaben einen feuchten Dreck auf indianische Riten.«
»Und die Wesen zogen sich zurück, um fortan aus dem Verborgenen die Geschicke ihrer Stadt zu lenken.« Gryf nickte. »Dann habe ich's ja richtig in Erinnerung. Schöne Geschichte, übrigens. Mumpitz, aber schöner Mumpitz.«
Jenny seufzte. »Okay, also gehen wir mal von einem realen Verbrechen aus. Wie, bitte schön, soll das vonstattengegangen sein? Wie bringt man einen Mann zum Brennen, noch dazu vor Zeugen und ohne in der Nähe zu sein?«
»Vielleicht steckt Magie dahinter«, schlug der Druide vor. »Ich kenne da ein paar Zauber, die würden Ihnen den Atem rauben!«
Jenny schüttelte den Kopf, hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. Magie? Verdammt noch mal, nicht schon wieder! Warum musste sie immer in diesen übersinnlichen Quatsch reinschliddern?
»Was ist?«, fragte Gryf leise. Der schalkhafte Ton war aus seiner Stimme gewichen. In seinem Blick las Jenny nun offene Anteilnahme, Sorge - und Freundschaft.
»Immer wieder Dämonen«, murmelte sie. »Ich… ich bin seriöse Journalistin, gottverdammt! Ich will über das Wahre berichten, das Reale. Über Dinge von gesellschaftlicher Relevanz. Politik, Wirtschaft. Aber was ist? Eine Monstershow jagt die andere! Fehlt nur noch, dass Zamorra persönlich hier auftaucht.«
Gryf schmunzelte wieder, doch seine Augen blieben ernst. »Unwahrscheinlich. Der Professor hat momentan ganz andere Sorgen, als einem Doppelmord im Big Apple nachzugehen, dessen übersinnliche Komponente noch nicht einmal bestätigt ist. Nein, Miss Moffat - ich fürchte, diesmal müssen Sie mit mir Vorlieb nehmen.«
Andere Sorgen. Jenny spürte, dass mehr hinter dieser Formulierung steckte, zögerte aber. Einerseits wollte sie nicht neugierig sein, andererseits mochte sie Zamorra. Er war auf gewisse Weise ebenfalls eine gequälte Seele, zumindest in ihren Augen. Ob auch er nachts wach lag, weil er die Bilder der Vergangenheit einfach nicht abschütteln konnte? Bilder von der Wirklichkeit hinter der Fassade? Von der wahren Welt, die Normalsterblichen meist verborgen blieb? Wünschte sich auch Zamorra mitunter, sein Leben wäre ganz normal verlaufen?
»Aus dem Herzen New York Citys«, plärrte eine Lautsprecherstimme durch den Schankraum und riss sie aus ihren Überlegungen. Erst jetzt bemerkte Jenny, dass sich die Kneipe ordentlich gefüllt hatte. Kaum ein Stuhl war noch frei - und die Augen aller Anwesenden waren auf den TV-Monitor über der Theke gerichtet. Jenny wandte sich um, warf einen Blick darauf und sah den Vorspann zu Late Night with Jimmy Fallon laufen. Die Aufzeichnung vom Nachmittag wurde gesendet. Die, während der Silverman gestorben war.
Angewidert schaute sie wieder weg. »Na, der dürfte heute Abend keine Quotensorgen haben.« Eines war sicher, sofern die Anwesenden im Molloy's ein Beispiel abgaben: Ganz New York saß nun irgendwo vor dem Fernseher und wartete gebannt darauf, ob NBC die Bilder tatsächlich ausstrahlte.
Jenny wusste, wie Fernsehen funktionierte. Sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass das Network jedes Detail zeigen würde. Und der Monitor über der Bar bestätigte ihre Annahme binnen weniger Minuten.
Silverman stürmte aufgebracht die Bühne, drängte seinen Moderator aus dem Scheinwerferkegel, setzte zu seiner Ansprache an. Sein Gesicht wirkte käsig, feucht. Fast so, als übersteige die Masse den räumlichen Rahmen, der ihr zur Verfügung stand. Schultern begannen zu qualmen, stilvoll für die Ewigkeit festgehalten in High Definition.
Die Menge im Molloy's grölte, doch Jenny wandte sich angewidert ab. Sie hatte mehr als genug Menschen sterben sehen.
Plötzlich spürte sie Gryfs Hand auf ihrem Arm. »Schauen Sie«, drängte der jungenhaft aussehende Silbermonddruide. »Da!«
Widerwillig drehte sie sich erneut um, sah zum Monitor - und stutzte.
Im Bildhintergrund, gerade noch sichtbar und fast von dem brennenden Mann verdeckt, erschien ein Teufelshuf im Boden - und direkt daneben ein eigenartiges Logo!
»Was ist das?«, fragte sie leise. »Sind… sind das
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