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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Buchstaben? Gryf? Was soll das bedeuten?«
    Doch der Druide schwieg. In seinen Augen sah Jenny Entsetzen - und grenzenlose Überraschung.
    ***
    »Wissen Sie eigentlich, was für einen Blödsinn Sie da reden?«
    Selten zuvor hatte sich Jennifer Anne Moffat so genervt gefühlt. Seit das seltsame Emblem im TV erschienen war, schien ihr anstrengender Begleiter immer mehr von der Stadtvätertheorie angetan zu sein. Vorbei waren die sachlichen Argumente und die Suche nach einem Täter aus Fleisch und Blut. Alles, worüber Gryf ap Llandrysgryf noch sprechen wollte, so schien es zumindest, waren die legendenumwobenen Bewahrer aus der Tiefe - die Götter von New Amsterdam, wie die sensationsgeile Lokalpresse sie inzwischen zu nennen übergegangen war.
    »Ich versichere Ihnen, Miss. Moffat, dass ich mir sehr wohl darüber bewusst bin, was ich behaupte. Glauben Sie mir im Gegenzug bitte, dass ich nicht unüberlegt handele.«
    Seine plötzlich gestelzte Ausdrucksweise irritierte sie fast noch mehr wie die Ruhe, die plötzlich von ihm ausging. Gryf war konzentriert, ein Inbegriff der Selbstbeherrschung - und wirkte somit ganz anders als der Typ, mit dem sie nun schon den Großteil eines Tages durch New York City hechtete. Der selbstbewusste Geck, der von Gott weiß woher gekommen war, nur um ihr mal Hallo zu sagen, und der vielleicht sogar tatsächlich geglaubt hatte, sie dadurch zu beeindrucken.
    »Was Sie behaupten? Tut mir leid, Mister, aber wenn Sie jetzt auch noch mit diesem Nessi-Ersatz anfangen, den die hiesige Journaille so dankend nutzt, um ihr Sommerloch zu stopfen, können Sie ab sofort allein weiterrecherchieren. Das ist doch Humbug. Wenn ich in die Richtung gehen will, kann ich mich ja genauso gut mit einem der Spinner zusammentun, die vor dem Polizeihochhaus campieren!«
    Jenny kochte innerlich, trotz der Kühle der Nacht. Längst war es dunkel geworden, und als sie eben auf den schmalen Gehsteig vor dem Molloy's getreten waren, hatte die Kälte sie begrüßt wie einen alten Freund. Ein fahler Mond hing über der Stadt, die niemals schlief, und schaute hinab auf die blinkenden Lichter, die Hochhausschluchten, die Passanten. Die Stunde mochte spät sein, doch das sah man Manhattan nicht an. Der Betrieb auf den Straßen stand dem des Tages in nichts nach.
    Bevor Jenny ihren Protest fortsetzen konnte, drehte Gryf sich zu ihr um. »Verzeihen Sie mir«, sagte der mehr als achttausend Jahre alte Mann mit dem ungestümen Blondschopf leise. Dann breitete er die Arme aus, als wolle er sie drücken.
    Erst im letzten Moment begriff Jenny, was er wirklich vorhatte, und da war es schon zu spät. Fassungslos erlebte sie, wie Gryf ihr seine rechte Hand auf den Mund presste, sie zum Schweigen brachte. Gleichzeitig umfasste er mit dem linken Arm ihre Hüfte und zog die junge Frau an sich.
    Hart presste er ihre Arme gegen ihre Seiten und fixierte ihre Lippen. Jenny war wehrlos, zu schwach für diesen zwielichtigen Kerl.
    Passanten blieben stehen, sahen verwundert zu ihnen.
    Jenny grunzte, wand sich wütend in seiner Umklammerung und trat mit den Füßen nach hinten. Doch bevor ihre Absätze seine Unterschenkel getroffen hatten, machte Gryf einen Ausfallschritt nach links - und die Welt verschwand.
    ***
    Das Innere von Studio 6B im GE-Gebäude war menschenleer - und so finster, wie die schwärzeste Nacht. Die Stuhlreihen zur Rechten, lange und schräg übereinander angeordnete Sitzmöglichkeiten für das täglich neue Studiopublikum, lagen in Schwärze. Gegenüber von ihnen ragte Jimmy Fallons Schreibtisch aus dem Dunkel, ein klobiges Objekt aus Holzimitat, neben dem zwei lederne Sessel für die Talkgäste bereitstanden. Das ganze Studio machte den Eindruck, als brauchte es nur eines Lichtschalters, und schon könne die nächste Aufzeichnung starten - wäre da nicht der Gestank gewesen. Dieser nicht zu ignorierende Hauch des Todes, der überall in der Luft lag - ein Aroma aus Schwefel, Rauch und dem bitteren, ekelerregendem Geruch verbrannten Fleisches.
    Es war stickig in dem gut fünfzig Quadratmeter großen Raum. Daran änderte auch die Klimaanlage nichts, die in der Ferne leise summte. Man hatte sie über Nacht angelassen - offenbar um die olfaktorische Erinnerung an das Grauen, das vor wenigen Stunden an diesem Ort geschehen war, nach und nach aus dem Studio herauszusaugen. 6B war eine nationale Institution, das wusste Gryf. Zwar war er kein Fan des amerikanischen Fernsehens - oder des Mediums als solchem -, doch selbst er wusste,

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