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0943 - Herren aus der Tiefe

0943 - Herren aus der Tiefe

Titel: 0943 - Herren aus der Tiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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wartete auf grün. Durch das Fenster konnte er Familien zusehen, die in den Bryant Park strömten, und fragte sich, wann er sich zum letzten Mal die Zeit genommen hatte, New York einfach nur zu genießen. Es fiel ihm nicht ein. Wie es schien, würde es ohnehin noch eine ganze Weile dauern, bis die Stadt für ihn wieder mehr als nur sein Arbeitsplatz war.
    »Sipowicz«, meldete er sich.
    Keine Sekunde später trompetete Dolores Clayburns schrille Stimme in sein Ohr. »Andy, ich bin's. Hören Sie, ich kann nicht laut sprechen, denn der Lieutenant kurvt hier irgendwo herum, aber ich wollte Ihnen schnell mitteilen…«
    Andy stöhnte und schaltete den Lautsprecher seines Mobiltelefons leiser. Dolly war die gute Seele des Departments, das alt gewordene Mädchen für alles und ein schlauer Fuchs, aber eines war sie auf keinen Fall: leise. Selbst wenn sie flüsterte, hatte man das Gefühl, die Menschen auf der anderen Straßenseite müssten noch jedes Wort verstehen können.
    »Was denn? Haben Sie gefunden, worum ich Sie gebeten habe?«
    Dolly schmatzte ungehalten. »Na, deswegen ruf ich doch an! Wie Sie es wünschten, hab ich mich mal ein wenig in puncto Stadtgeschichte schlaugemacht. Und Ihre Vermutung trifft genau ins Schwarze: Es gab in den Tagen New Amsterdams tatsächlich eine Art Kult hier, zumindest deuten manche Quellen so etwas an.«
    Bingo! Also gab es eine Verbindung zwischen der GWC und den Bewahrern aus der Tiefe. Andy jubelte innerlich so sehr, dass er mit der Hand aufs Lenkrad schlug und sich beinahe einen Finger brach.
    »Ein Historiker, mit dem ich eben telefonierte, sagte mir, es könne sich dabei um eine Mischung aus Pilgersekte, also einer pervertierten religiösen Sitte der ersten Einwanderer, und einem Ritual der amerikanischen Ureinwohner dieser Region gehandelt haben«, fuhr Dolly unbeirrt fort. »Zumindest sei das der aktuelle wissenschaftliche Konsens. Gewissheit werde man in diesen Dingen aber nicht bekommen, wenigstens nicht ohne Zeitmaschine.« Sie lachte so »leise«, dass Andy schon einen Tinnitus befürchtete. Erst als sein Hintermann hupte, merkte er, dass die Ampel umgeschaltet hatte. Schnell legte er einen Gang ein und fuhr weiter.
    »Und wie hat dieser Kult ausgesehen? Wem haben die Sektierer damals gehuldigt?«
    »Das ist das Schöne an der Sache«, antwortete Dolly. »Die Beschreibungen decken sich durchaus mit Aspekten der heutigen Stadtvätermanie. Mein Gesprächspartner nannte sie sogar den historischen Ursprung der Stadtväterlegende. Wie es hieß, gewährten die Götter der damaligen Siedler den Menschen Wünsche. Sie waren die wahren Herren über das Gebiet des heutigen Manhattans, und wer hier sein Glück machen wollte, konnte durch ihre Hilfe viel gewinnen. Aber die göttliche Unterstützung hatte ihren Preis.«
    »Was für Wünsche?«, hakte Andy nach und fädelte sich eine Spur weiter rechts ein.
    »Och, das Übliche. Glücksseligkeit, Erfolg, Gesundheit…«
    »Und was für einen Preis?«
    Dolly kicherte so stark, dass Andys Plomben vibrierten. »Auch da entspricht diese Story genau dem Klischee, Andy: Seelen. Ganz, wie es unsere aktuellen Tatorte suggerieren sollen. Die Seelen derer, die den Pakt mit den Göttern eingingen. Der Mensch bekommt alles, was er sich auf Erden nur erhoffen kann - muss sich dafür aber im Tod den Göttern von New Amsterdam ergeben. Und wissen Sie, was wirklich witzig ist, Sarge?«
    »Hm?«
    »In einer Quelle steht, dass sogar Willem Verhulst einen Deal mit diesen Göttern eingegangen sein soll. Mein Historiker von vorhin war ganz ekstatisch von den Möglichkeiten, die seiner Meinung nach hinter dieser Theorie stecken!«
    »Verzeihung«, unterbrach Andy seine Kollegin und setzte den Blinker. »William wer?« Ein paar Blocks weiter vor sich konnte er schon das Ziel seiner Reise ausmachen: das Auktionshaus Ellman & Sons. Lustigerweise lag es direkt neben der CLUNY School of Journalism, was Jenny Moffat sicher amüsieren dürfte.
    Dolores Clayburn schnalzte tadelnd mit der Zunge. »William wer! Also wirklich, Sipowicz, ein wenig mehr Interesse für amerikanische Geschichte hätte ich Ihnen schon zugetraut. Willem Verhulst! Der Begründer Manhattans. Der Mann, der New Amsterdam gewissermaßen erst aus der Taufe hob. Verhulst war zweiter Chef der West India Company. Er traf die Entscheidung, New Amsterdam dort anzusiedeln, wo es schließlich geschah. Ohne ihn wären wir heute alle woanders.«
    »Aha«, murmelte Andy verwirrt. »Und wo ist jetzt der

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