0943 - Herren aus der Tiefe
schnöselig und so unausstehlich, dass man schon in seiner Gegenwart Gefahr lief, eine Allergie gegen den Typen zu entwickeln. Sein sorgfältig gescheiteltes schwarzes Haar war so unecht wie das Lächeln in seinem Gesicht. Einzig die harten Falten auf seinen Zügen und die Kälte in seinem Blick verrieten, wes Geistes Kind dieser Mann tatsächlich war.
»Übrigens danke, dass Sie mich so kurzfristig empfangen«, sagte Andy. »Falls ich das nicht eben schon erwähnte.«
Ellman legte die manikürten Finger gegeneinander und betrachtete ihn aus seinem ledernen Lehnsessel hinaus. Sein dunkler Nadelstreifenanzug und der dünne Oberlippenbart verliehen ihm das Aussehen eines in die Jahre gekommenen Filmstars der schwarzen Serie Hollywoods. Einer der Sorte, die immer den Bösewicht gab. »Ich versichere Ihnen, Sergeant: Ihr Mangel an Höflichkeit hat nicht das Geringste mit meinem Schweigen zu tun«, begann er kühl. »Wie ich Ihnen bereits telefonisch sagte, kann ich Ihnen von Rechts wegen keine Auskunft über die Transaktionen unserer Kundschaft geben.«
Andy kicherte leise. »Von einer Auktionärschweigepflicht höre ich heute zum ersten Mal…« Dabei tippte er sich leicht auf die Dienstmarke an seiner Uniform. »Und mit Rechtslagen kenne ich mich eigentlich ganz gut aus. Berufskrankheit, wissen Sie? Also, Mr. Ellman: Wie ich das sehe, haben wir hier zwei Möglichkeiten. Entweder sagen Sie mir, was ich wissen will, oder wir verlegen den Rest unserer Unterhaltung aufs Revier. Wir haben da schnuckelige kleine Verhörzellen. Die können Ihrem edlen Büro hier zwar nicht das Wasser reichen, sind auf ihre bescheidene Art aber auch gemütlich. Und sehr effizient…«
Das war ein Bluff. Ohne Zandts Wissen würde Andy niemanden im HQ vorführen können, und Zandt wusste ja noch nicht einmal, dass Andy überhaupt eine Spur verfolgte.
Aber all das war Ellman sichtlich unbekannt. »Das wagen Sie nicht!«, brauste der Auktionshausleiter entrüstet auf.
»Was ich wage, lassen Sie ruhig mal meine Sorge sein, Sir. Also: Bürgermeister Roslin beauftragte Sie heute, etwas aus seinem Besitz für ihn zu verkaufen. Worum handelte es sich dabei?«
Hätten Blicke töten können, Andy hätte spätestens jetzt verblutend auf dem teuren Perserteppich gelegen. »Um… ein… Dokument«, presste Ellman zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Jede Silbe schien ihn unendlich viel Überwindung zu kosten.
»Und verkauft wird es per Auktion?«
»Nicht direkt«, antwortete sein Gegenüber. »Eigentlich steht der Käufer schon fest. Das ist nichts Ungewöhnliches in unserer Branche. Wir dienen unseren Kunden auch als Vermittler.«
Andy blinzelte verwirrt. »Moment. Wenn es nur einen Interessenten für dieses Dokument gibt, warum dann der Umweg über Ellman & Sons? Warum verkauft Roslin nicht direkt an den Typen?«
Der Auktionator sah aus, als bringe ihn so viel Unwissenheit gleich zum Erbrechen. »Weil er diesen Typen , wie Sie es auszudrücken pflegen, nicht kennt, Sergeant!«, sagte er mit Nachdruck. »Genauso wenig, wie der Interessent über die Identität des Verkäufers informiert ist. Wie ich Ihnen bereits klar zu machen versuchte, ist Vertraulichkeit unser A und O. Bei uns läuft alles anonym, Mr. Sipowicz. Unsere Kunden verlassen sich darauf.«
Es gab Momente, an die erinnerte man sich ein Leben lang. Für Sergeant Andy Sipowicz gehörte dieser dazu. Alles war klar, endlich und eindeutig klar!
Hol mich der Teufel , dachte Andy und musste sich beherrschen, nicht einfach aufzuspringen und den Schnösel zu umarmen.
Kapitel 9 - Auf der Jagd
9:42.
Die Anzeige der Digitaluhr im Armaturenbrett des alten Fords war das einzige, das das Innere des Wagens noch erhellte, seit Jenny ihrem außerweltlichen Begleiter die Benutzung des Radios verboten hatte. Sie und die Lichter, die von jenseits der Scheiben hineinfielen. Es war Abend geworden, und Manhattan hatte sich abermals in ein Meer aus Leuchtkraft und blinkenden Blickfängern verwandelt. Reklametafeln und Straßenlaternen wetteiferten darum, wer die meiste Helligkeit verbreitete. Aus den Fenstern der Apartmenthäuser fielen Lichtkegel auf die Gehsteige und der vorbeirauschende Verkehr erhellte die Dunkelheit zusätzlich. Wieder einmal musste Jenny an Dellinger's Point denken. Nie wieder hatte sie eine derartige Schwärze erlebt.
»Wie lange eigentlich noch?«
Gryf zuckte bei der Frage merklich mit den Mundwinkeln. »Lassen Sie mich raten: Sie haben Hunger, müssen mal, und Ihnen
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