0947 - Geballte Wut
Deckung und auf die Straße, die zum Schlachtfeld geworden war - sicher und furchtlos. Er vertraute auf die Macht, die in ihm schlummerte. Den Schutz des Amuletts. Seinen Instinkt. All dies hatte ihm schon so oft geholfen - es würde ihm auch diesmal helfen. Die Druckwelle spürte er erst, als seine Füße den Bodenkontakt verloren, sie ihn mit unfassbarer Wucht quer über die Straße schleuderte und rücklings gegen eine Hauswand pinnte. Zamorra stöhnte, als sein Körper auf den kalten, harten Putz geschlagen wurde. Irgendetwas in seinem Nacken knirschte unangenehm.
Für einen Moment sah er nur Sterne, spürte das Pochen des Schmerzes hinter seiner Stirn und in jedem Knochen.
Dann sah er Anne.
»Dämonenjäger«, hisste die Doppelgängerin, Anka Crentz' dunkle Hälfte. Sie stand direkt vor ihm, keine zwei Handbreit von ihm entfernt, war nah.
Dennoch war es ihm unmöglich, sie auch nur zu berühren.
»Fange ich also mit dir an«, murmelte sie. »Gut. Bist du bereit, zu sterben?«
Diese Wut! Woher stammte nur ihr Hass? Das war nicht Anne, nicht nur. Irgendeine Existenz musste in ihr sein, sich mit ihrer Aggression verbunden haben.
»Du… musst…«, begann Zamorra, doch die Worte blieben Geflüster, jeder Laut ein unmenschlicher Kraftakt. Wo sein Leib nicht vor Schmerzen brannte, schien eine eigenartige, beunruhigende Taubheit von ihm Besitz ergriffen zu haben. Und noch immer klebte er an der Hauswand, wie ein Insekt am Fliegenfänger.
»Ich muss.« Anne schnaubte. »Genau das ist es. Immer muss ich, was andere sagen. Aber weißt du was, Zamorra? Die Zeiten sind vorbei! «
Den letzten Satz schrie sie. Spucke und Geifer flogen aus ihrem wutverzerrten Mund, und ihre Augen brannten wie Leuchtfeuer in der Dunkelheit.
Es wurde warm. Binnen eines einzigen Augenblicks stieg die Temperatur um mehrere Dutzend Grad. Zamorra stöhnte, wand sich in der unsichtbaren Umklammerung, die ihm die Freiheit raubte, und spürte, wie die Hitze nach ihm griff, sich neue Flammen nach ihm streckten, sein Leben verging.
Dann…
Mit letzter Kraft gab er Merlins Stern den gedanklichen Befehl zum Angriff. Er hatte es verhindern wollen - um Annes Willen. Doch wenn er jetzt nicht handelte, starb nicht nur er.
Es dauerte nur Sekunden, und es brach ihm das Herz. Weiße, gleißend helle Blitze schossen aus dem magischen Amulett und auf die verblüffte Gegnerin zu. Binnen eines einzigen, grauenvollen Augenblicks wurde Anne getroffen, zuckte und wand sich unter Schmerzen. Ihr Gesicht wurde kreidebleich, ihre weit aufgerissenen Augen und der in Panik verzerrte Mund Spiegel ihrer Qual. Kein Laut kam über ihre Lippen, der den Lärm des magischen Infernos hätte übertönen können, das sie und das Amulett heraufbeschworen hatten. Aber Zamorra musste ihre Stimme nicht hören, um zu wissen, wie sehr Merlins Stern sie verletzte.
Wie sehr er sie verletzte.
Zwei Augenblicke Ewigkeit, und schon brach sie zusammen. Nicht mehr als ein lebloser Haufen auf dem harten Straßenpflaster. Eine Hülle, in der einst Potenzial geruht hatte. Vorbei.
Zamorra spürte, wie der magische Griff verging, der ihn an die Wand fesselte. Keuchend und schwitzend bewegte er die Glieder, rührte sich langsam, vorsichtig. Testete seine Grenzen. Aus den Augenwinkeln sah er Rhetts fassungsloses Gesicht, die ungläubig starrende Kathryne…
Es war vorbei.
Und dann begann es erneut!
Kaum mehr als ein Wimpernschlag, und Anne richtete sich auf. Kaum mehr als ein Atemzug, und ihre Wunden heilten - zauberhaft, magisch, unfassbar. Kaum mehr als ein Hoffnungsschimmer, und alles war vertan. War wieder wie zuvor.
Ihre Regenerationsfähigkeit, schoss es dem Professor durch den Kopf, als er sich abermals an die Wand gepresst wiederfand. Was immer ihre Wut verstärkt, potenziert ganz offensichtlich auch ihre anderen Talente.
»O Kacke«, murmelte Dylan irgendwo weiter vorne. Im Chaos.
Dann…
» Hier bin ich! «
Kathrynes Stimme. Laut, klar und fest klang sie durch das Chaos und Tosen herüber, von irgendwo her. »Du suchst mich, nicht ihn, Anne«, fuhr sie fort. »Lass ihn in Ruhe und widme dich endlich der Person, um die es dir wirklich geht!«
Ein Moment des Zögerns, dann löste sich der Druck auf Zamorras Körper. Wie ein nasser Sack plumpste er hinunter, prallte unsanft auf das glühend heiße Pflaster und blieb benommen liegen, jeder pfeifende Luftzug ein Kampf gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit. Nein, Kathryne , dachte er, und sein flackernder, schwacher Blick
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