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0947 - Geballte Wut

0947 - Geballte Wut

Titel: 0947 - Geballte Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Zamorra nicht mehr darum sorgen, Unbeteiligte vom Ort des Geschehens fernzuhalten«, flüsterte Rhett in ihr Ohr. »Die hauen ja schon freiwillig ab.«
    »Kannst du's ihnen verdenken? Da unten… lauert etwas.«
    Er nickte, empfand genauso. Und wie sie, schien auch er Schwierigkeiten dabei zu haben, das in Worte zu kleiden, was sie an diesem Tag gespürt und empfunden hatten. Wie beschrieb man Grauen? Wie Angst?
    Dann zuckte er zusammen, wirbelte herum.
    Und sah den Wagen.
    Es handelte sich um ein Oldsmobile. Einen amerikanischen Oldtimer in elegantem Schwarz, der dem Aussehen nach aus der Mitte der 1930er Jahre stammte. Ein solches Gefährt hielt man in Ehren, hegte und pflegte es wie das kostbare Kleinod, das es war. Man fuhr es nicht mit quietschenden Reifen und ohne Rücksicht auf Verluste durch die Straßen einer Millionenstadt, als sei LUZIFER persönlich hinter einem her.
    Dieser Fahrer jedoch tat nichts anderes.
    Gummi schrubbte über den Teer und erzeugte das grauenvolle Geräusch, das Rhett hatte zucken lassen. Wenige Meter den Boulevard hinunter bog der Wagen um eine Ecke - wobei er beinahe zwei verbliebene Passanten auf einem Zebrastreifen auf die Kühlerhaube genommen hätte und so wild und laut hupte, als hinge jemandes Leben davon ab - und hielt auf die Gruppe zu. Das letzte Licht der untergehenden Sonne ließ seinen Lack funkeln und brachte die stromlinienförmigen Kurven und Wölbungen seiner gepflegt wirkenden Karosserie zur Geltung.
    »Was zum Henker wird das denn?«, brummte Thierry ungehalten und griff zum Funkgerät an seinem Gürtel. Vermutlich wollte er die Polizei über den Verkehrsrowdy in Kenntnis setzen.
    Doch bevor er auch nur ein Wort in das Gerät sagen konnte, kam der Oldsmobile zum Stehen - direkt neben ihnen. Das Geräusch, mit dem das eben noch so rasant fahrende Auto abbremste und zur Ruhe kam, schmerzte Kathryne in den Ohren.
    Zamorra wirkte alarmiert. Er wusste nicht, was er von der Situation halten sollte.
    Und dann öffnete sich die Fahrertür.
    Der Mann, der ausstieg, war gehetzt, daran bestand kein Zweifel. Die Ringe unter seinen Augen, der wirre Zustand seines schlohweißen, dünnen Haares und die Falten auf seinem eingefallenen Gesicht verliehen ihm das Erscheinungsbild eines Menschen, der auf der Flucht war. Und dieser, daran ließ der gebrechliche Zustand seines Körpers keinen Zweifel, war es schon eine ganze Weile.
    »Zamorra!«, rief er zur Überraschung aller. »Gut, dass ich Sie noch erwische. Ich sah Sie die Station verlassen und befürchtete schon… Der Weg hierher ist weit, wissen Sie.«
    Der Meister des Übersinnlichen schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, aber kennen wir uns?« Kathryne sah, dass er die Fäuste, die er bei der Vollbremsung des Gefährts geballt hatte, nur zögerlich wieder löste.
    »Nein«, antwortete der Tweed tragende Alte mit zittriger Stimme. »Sie mich nicht. Aber ich Sie. Und jetzt - müssen wir reden. Über die Zukunft!«
    Schweigend und ratlos standen die ungleichen Gefährten des Professors auf dem ansonsten menschenleeren Gehsteig. Es war still geworden in Paris. Einzig der Wind drang noch an Kathrynes Ohren; er pfiff um die Ecken der Straßen und die Türme von Notre Dame und der Sainte Chapelle, rüttelte an den Dächern des Hospitals und ließ die bunten Markisen der Bistros und Brasseries im hinteren Bereich der breiten Verkehrsstraße flattern. Unter ihnen standen Tische, an denen niemand - buchstäblich niemand! - mehr saß.
    Was zum Teufel ist hier los? , dachte Kathryne. Hat jemand die Île de la Cité evakuiert?
    »Die Zukunft?«, wiederholte Zamorra, sobald der Fremde um seinen Wagen und zu ihm getreten war. »Wie meinen Sie das, Monsieur?«
    »Gaston«, ergänzte dieser. »Nennen Sie mich einfach Gaston. Und ich muss Sie bitten…«
    Ein spitzer, schriller Schrei ließ den Alten innehalten. Ratlos, die Augen weit aufgerissen, drehte er sich um, richtete seinen Blick in die Gegend, aus der er erklungen war - und erstarrte.
    Kathryne tat es ihm gleich.
    Denn dort - war Anne!
    »DU!«, schrie die Schwester, die sie nie hatte. Ihr Gesicht war zu einer Fratze des Hasses verzerrt, ihr Haar hing ihr wild und nahezu verfilzt in die Stirn, und in ihren Augen loderte ein Feuer, dass Kathryne noch nie zuvor gesehen hatte - weder an Anne, noch irgendwo sonst. Der Anblick verursachte ihr eine Gänsehaut.
    »DU bist hier! Endlich!« Anne hob den Arm, zeigte auf Kathryne. »Und du hast deine Freunde mitgebracht. Wie praktisch!«
    Sie

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