0947 - Geballte Wut
etwas an der Situation. Nichts machte das Leid, das sein Mentor empfand, geringer. Das Leid - und, ja, seine Schuld.
Also schwieg er, behalf sich mit Gesten, strich ihm über das dünne, weiße Haar. Und er dachte an den Fremden, der gekommen war. Zamorra. Vielleicht wurde es wirklich Zeit, dem Mann unter die Arme zu greifen. Koste es, was es wolle.
Kapitel 8 - >Du<
Der Stämmige schnaubte, und für einen - boshaften - Moment fragte Kathryne sich, ob das auf Zamorras Anweisung oder auf den Aufstieg aus den Tiefen der Metro zurückzuführen war. Desjardins Gesicht jedenfalls wurde von roten Flecken geziert, die entweder von seinem Zorn oder seiner miesen körperlichen Verfassung Zeugnis ablegten. Wenn nicht sogar von beidem.
»Das kann ich nicht tun, Professor«, wiederholte er gerade und in einem Tonfall, der zunehmend weinerlich wurde.
Zamorra, der soeben die oberste Stufe der stählernen Treppe erreicht hatte, wirbelte herum. »Himmel, Thierry, ich bitte Sie hier nicht um die Rettung von Schrödingers Katze oder ähnlich unmögliche Dinge. Alles, was ich will, ist eine Schließung der Haltestelle Cité - bis wir unsere Arbeit beendet haben. Je weniger Zivilisten uns dabei im Weg stehen, desto besser ist es für alle Beteiligten. Mir geht es nicht darum, Sie zu schikanieren, sondern allein um die Sicherheit Ihrer Fahrgäste, Mann, so verstehen Sie doch!«
»Ich verstehe sehr wohl, Monsieur«, erwiderte der Stationsaufseher ein wenig pikiert und stemmte die Hände gegen die breite Hüfte, was ihm in Kathrynes Augen das Aussehen eines kleineren, in blaue Uniform gekleideten Bruders des Michelin-Männchens verlieh. Wenig vorteilhaft. »Was Sie nicht begreifen, ist, dass ich nicht tun kann, was über meine Befugnisse geht. Eine Sperrung der Station wäre eine gravierende Beeinträchtigung des gesamten öffentlichen Nahverkehrs. Paris ist eine Metropole, Professor. Bei uns ist immer Touristensaison. Um Ihrem Wunsch nachzukommen, brauche ich die Genehmigung meiner Vorgesetzten bei der RATP - und die, das sage ich Ihnen ganz offen, werden mir Ihre Geschichte wohl kaum abkaufen.«
Beim letzten Satz warf Desjardins ihr, Kathryne, einen halb warnenden, halb ängstlichen Blick zu. Kein Zweifel: Er wollte ihr signalisieren, dass er sie im Auge hatte und noch immer nicht vollends davon überzeugt war, es nicht mit der gesuchten Mörderin zu tun zu haben.
Ein Skeptiker , dachte die so jung wirkende Frau und seufzte innerlich. Konnte sie es ihm verübeln? Wenn sie sich gegenüber ehrlich war, gab sie sich doch ebenfalls die Schuld an dem, was geschehen war - und wahrscheinlich geschehen würde, sobald Anne wieder auftauchte. Was immer das hier war, es war weit davon entfernt, vorbei zu sein. Das spürte Kathryne, und ihr war, als spürten ihre Begleiter es auch.
Anne. Wo immer du bist, komm zu mir. Lass uns reden. Eine Lösung finden.
Auf einmal war Rhetts Hand in der ihren. Der Erbfolger hielt sie, drückte sie sanft, strich ihr mit dem Zeigefinger zärtlich über den Daumenrücken. Er verstand. Spätestens seit seiner unfreiwilligen Zeit als Xuuhl - der Existenz, zu der er nach der Verschmelzung mit Aktanur geworden war - wusste Rhett Saris ap Llewellyn genau, was es hieß, Schuld zu tragen. Sich gegen seinen Willen und gegen besseres Wissen Schuld aufzuhalsen, die man nicht mehr los wurde.
Auch das machte ihn für sie so wichtig.
Zamorra klopfte Thierry jovial auf die Schulter, sowie der stämmige Mitarbeiter der Pariser Verkehrsbetriebe den Bürgersteig des Boulevard du Palais erreicht hatte. »Dann erzählen Sie sie ihnen nicht«, sagte er grinsend. »Erfinden Sie irgendetwas. Ein Gasleck vielleicht, einen Wasserschaden. Ihnen fällt bestimmt ein Vorwand ein, mit dem Sie uns ein oder zwei Tage Zeit herausschlagen können. Mehr werden wir hoffentlich nicht brauchen.«
Wie durch ein Wunder war der Abend über der Seine-Metropole hereingebrochen. Unfassbar, dass sie so viel Zeit in der Station verbracht haben sollten, ohne Hunger, Durst oder ein anderes Bedürfnis zu verspüren. Es ist, als ob die Zeit da unten anders verläuft , ahnte Kathryne. Schneller.
Laternen erwachten flackernd zum Leben, und die Straßen waren halbwegs verlassen, soweit sie sie einsehen konnte. Allerdings wusste sie nicht, ob das wirklich am außergewöhnlich geringen Verkehrsaufkommen lag, oder ob die Pariser und ihre Gäste aus aller Welt mittlerweile instinktiv einen weiten Bogen um Cité machten.
»Wenn das so weiter geht, muss sich
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