0948 - Leonoras Alptraumwelt
was man daraus auch noch folgern kann, Suko?«
»Nein.« Der Inspektor senkte den Blick. »Nein, das brauchst du wirklich nicht.«
»Davor habe ich Angst«, flüsterte Shao. »Davor habe ich eine verfluchte Angst. Daß mit dir das gleiche passieren kann wie mit den vier Männern. Daß sich deine Haut plötzlich auflöst, daß du…«
»Nicht so.«
Shao verstummte, denn Suko hatte ziemlich laut gesprochen, als hätte man ihn durch einen Stoß geweckt.
»Wie denn?«
»Das ist bei uns etwas anderes, Shao. Du kannst John und mich nicht mit den anderen vier Männern vergleichen. Ich will nicht überheblich sein, aber ich weiß genau, daß wir in den Augen dieser verfluchten Voodoo-Hexe etwas Besonderes sind. Mag der Tod der vier Männer auch noch so schlimm gewesen sein, uns läßt sie nicht so billig davonkommen. Sie will uns quälen, foltern. Sie will uns beweisen, wie sehr sie uns unter Kontrolle hat. Mag sein, daß wir im Endeffekt so enden sollen, aber noch ist es nicht soweit. Noch sind wir ihre verdammten Spielbälle, und die läßt sie nicht los.«
»Meinst du?«
»Ja. Sie will ja ihren Triumph haben. Sie will uns und sich selbst ihre Macht beweisen. Das kann sie nicht - oder nur schwer, wenn wir plötzlich sterben. Das wäre für sie kein großer Sieg. Sie wird es anders versuchen, Shao, glaube es mir, auch wenn ich mich dabei wiederhole.«
»Ja, ja, ich denke auch. Aber was kann man dagegen tun, Suko? Wir können doch nicht hier hocken und abwarten, bis es dich erwischt. Wir müssen etwas tun. John und du - ihr müßt euch dagegen anstemmen, Suko. Man kann sich doch nicht einfach aufgeben.«
»Ich weiß. Aber gib mir bitte einen Rat, was wir dagegen unternehmen sollen. Ich weiß mir keinen. Man hat uns den verdammten Trank eingeflößt, und wir haben die Konsequenzen zu tragen. Durch ihn allein sind wir unter die Kontrolle dieser Leonora geraten, die ihre Fäden geschickt aus einer anderen Welt hervorzieht. Wir sehen sie doch nicht, aber ich bin überzeugt davon, daß sie uns sieht. Sie weiß, was wir reden, und sie wird sich an unserer Verzweiflung weiden. Auf einen Nenner gebracht, sie ist uns über.«
»Ja«, sagte die Chinesin leise. »Das befürchte ich jetzt auch. Nur will ich das nicht wahrhaben. Wie oft haben wir in einer Klemme gesteckt. Selbst ich bin dem Sensenmann entwischt, wo du gedacht hast, ich sei tot. Da hat es ebenfalls eine Chance gegeben. Deshalb kann ich es nicht fassen, daß plötzlich alles anders sein soll. Ihr habt immer gekämpft, warum tut ihr es jetzt nicht?« Sie hatte versucht, ihren Partner durch die Worte anzumachen. Ihn zwar nicht aufzuheitern, aber sie wollte ihm Dampf machen, Energie einflößen, doch nach wie vor saß ein sehr nachdenklicher und grübelnder Mensch in ihrer Nähe, der sich einfach nicht motivieren lassen wollte.
»Diesmal ist es anders, Shao. Ich kann dir nicht genau sagen wie anders, aber es ist so. Vielleicht stehe ich noch unter dem Schock des Erlebten, aber ich habe mich selten so hilflos gefühlt, da bin ich ehrlich.«
Sie nickte. »Ja, ja, das sehe ich. Und einen Plan habt ihr euch beide nicht zurechtgelegt?«
»Nicht direkt«, gab Suko zu. »Jeder will aber versuchen, den anderen zu alarmieren, wenn es hart auf hart kommt. Bei mir ist bisher nichts geschehen, ich warte noch ab. Nur werde ich mich nicht in mein Bett legen und zu schlafen versuchen, da bin ich anders als John, der dies tun will. Ob er vorhat, die andere Seite zu locken, das weiß ich nicht. Das müssen wir abwarten.«
»Wäre es nicht besser, wenn wir zu dritt wären?«
»Davon sind wir abgekommen.«
»Weshalb?«
»Es hängt indirekt mit dir zusammen.«
Shao brauchte nicht lange zu überlegen. »Verstehe«, sagte sie. »Ihr wollt mich nicht in Gefahr bringen.«
»So sieht es aus.«
Sie hob die Schultern und stand auf. »Die lange Rederei hat mich durstig gemacht. Möchtest du auch etwas trinken?«
»Ja, einen Saft.«
»Ich hole ihn.« Sie bewegte sich auf die Küche zu, und Suko schaute der schmalen Gestalt nach, die noch etwas mädchenhafter wirkte, als sich der gelbe Morgenrock eng um ihre Gestalt schmiegte.
Da Suko auf der Couch saß, nahm er die Gelegenheit wahr und ließ sich zurücksinken. Er fiel langsam, dann spürte er das hohe Kissen unter dem Kopf, das er eindrückte, und sein Blick glitt quer durch den Raum auf das Fenster zu, dessen Scheibe von der Gardine nicht völlig bedeckt war. Der Stoff bedeckte das Fenster nur zur Hälfte. Hinter der Scheibe
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