0948 - Leonoras Alptraumwelt
nicht fassen. Der Fahrer hat mich hergebracht, aber ich habe diese kurze Reise wie einen Traum erlebt. Aber jetzt bin ich hier, nicht? Was ich spüre, das sind deine Hände, nicht wahr?«
»Ja, das sind sie, Glenda. Du steckst in keinem Traum. Was du erlebst, geschieht real.«
»Ja, real. Wie das Messer.« Die Erinnerung daran warf sie in meine Arme. Ich fing sie auf, preßte sie fest an mich, hörte sie weinen, und, verdammt noch mal, auch mir war zum Heulen zumute. Den Tränendruck spürte ich schon hinter den Augen, aber ich konnte mich noch soeben zusammenreißen.
»Sag mir, John, das alles wieder gut werden wird. Sag es mir, bitte!«
»Es wird wieder okay.«
»Und ich werde nie mehr versuchen, mich selbst zu töten…«
»Das hoffe ich.«
Glenda gab sich vorerst mit dieser Antwort zufrieden, löste sich von mir und legte ihre Jacke ab. Ich hängte sie an den Haken. Glenda hakte sich bei mir ein, als wir in den Wohnraum gingen. Sie trug ein figurbetontes, graues Strickkleid. Selbst durch diese Maschen spürte ich die Gänsehaut auf ihrem Körper, und ich sah auch, wie sie sich in ihrem Gesicht abzeichnete.
Auch Shao wurde umarmt. Danach setzte sich Glenda an den Tisch. »Es sieht aus wie ein Familientreffen«, sagte sie leise. »Aber ich weiß auch, daß es keines ist.«
»Da hast du recht!« stimmte Suko zu. »In dieser Nacht hätte es beinahe zwei Tote gegeben.«
Glenda war überrascht. »Wer denn noch? Hat noch jemand versucht, sich umzubringen?«
»Ich«, sagte Shao.
Glenda drehte sich auf dem Stuhl. »Duuuu…? Das kann ich nicht glauben. Welchen Grund solltest du denn gehabt haben, dich umzubringen? Das ist nicht möglich.«
»Und welchen Grund hast du gehabt, Glenda?«
»Ja, eigentlich…«
»Keinen, nicht wahr?«
»So ist es«, gab sie nickend zu.
»Aber ich«, erklärte Suko. »Denn ich wollte, daß sich Shao umbringt. Daß sie das Fenster öffnete und nach draußen springt, was sie letztendlich fast getan hätte.«
»Nein!«
Suko berichtete ihr, was vorgefallen war. Da ich schon informiert war, hörte ich nur mit halbem Ohr zu, hielt aber Glendas Hand fest, darauf hoffend, daß ihr körperlicher Kontakt ihr so etwas wie Ruhe gab. Trotzdem spürte ich ihren Schweiß und das Zittern. Glenda konnte nicht fassen, was sich da abgespielt hatte, aber sie war auch nicht in der Lage, einen Kommentar abzugeben. Sie hörte nur zu und starrte auf die Tischplatte, als läge dort die Antwort parat.
»Meine Güte, das ist, das ist…« Glenda drehte den Kopf, weil sie mich anschauen wollte und eine Erklärung erwartete.
»Ja, so war es«, sagte ich. »Das kann ich wirklich behaupten, Glenda. Sogar schwören.«
Es war ihr anzusehen, daß sie nachdachte, aber sie kam mit den Schlußfolgerungen nicht so zurecht, oder wollte es auch nicht einsehen. Schließlich faßte sie ihre Gedanken doch in Worte, als sie murmelte: »Wenn Suko sich den Selbstmord seiner Partnerin herbeigewünscht hat und ich daran denke, was mir widerfahren ist, dann kann ich nur davon ausgehen, daß auch du - ich meine, daß du dafür…«
Ich nickte.
Sie stockte. »Wirklich?«
»Ja, Glenda. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen kann oder soll. Eine Entschuldigung wird nicht reichen, aber es war nicht Suko oder ich, die sich dies alles gewünscht haben, es war einzig und allein unsere Phantasie, die wir nicht unter Kontrolle hatten. Sie sorgte dafür, Glenda, nur sie allein. Und ich möchte sie auch nicht als meine normale Phantasie bezeichnen, denn so etwas hätte ich mir nie einfallen lassen können. Es waren Gedanken einer fremden Person, einer Voodoo-Hexe, die uns manipuliert hat.«
Jetzt wußte Glenda Bescheid. Sie war eine Frau, der ich das hatte sagen können, denn sie arbeitete schon einige Jahre mit uns zusammen, und sie war selbst oft genug in die verdammten Mahlwerke dämonischer Kräfte hineingelangt, aber sie kam jetzt mit gewissen Dingen nicht zurecht. Das war einfach zuviel für sie gewesen.
»Soll ich nach einer Logik fragen, John?«
»Das kannst du.«
Sie drückte meine Hand. »Aber es ist keine normale Logik, sondern eine magische.«
»Das trifft schon eher zu.«
Sie mußte mehrmals tief durchatmen, dann ließ sie meine Hand los und strich durch ihr Gesicht, bevor sie fragte: »Wie ist es überhaupt dazu gekommen? Wer kann es denn schaffen, euch beide so derartig zu manipulieren? Das will mir nicht in den Kopf. Wie mächtig muß man denn sein? Selbst der Teufel kann sich davon eine Scheibe abschneiden.
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