0948 - Leonoras Alptraumwelt
der Nacht oder am frühen Morgen. Das machst du sonst nicht. Weiß du mehr über mich, John? Hast du es geahnt, daß ich plötzlich manipuliert worden bin?«
Diese Worte brachten mich natürlich in eine Zwickmühle. Auf keinen Fall durfte ich ihr davon erzählen, was uns widerfahren war, das würde sie nicht packen. Es war einfach zu viel für sie.
»Komm her, Glenda.«
»Du weißt etwas!«
»Ja!«
»Bitte…«
»Aber nicht am Telefon, Glenda!«
»Warum nicht?«
»Hör auf mich. Es sind Dinge in Bewegung geraten, die uns alle betreffen.«
»Das hättest du mir sagen müssen.«
»Nein, ich konnte es nicht. Es war mir einfach unmöglich, das mußt du akzeptieren.«
Sie atmete schwer und murmelte etwas, nur verstand ich die Worte nicht.
»Kommst du?«
»Ja, ich komme, John. Aber dann will ich die Wahrheit wissen.«
»Du wirst sie erfahren.«
»Bis gleich dann.« Ihre Stimme sackte regelrecht weg. Dann wurde die Verbindung getrennt. Ich hielt ein Telefon in der Hand, das auch hätte im Wasser gelegen haben können, so naß war es geworden. Allerdings nicht durch Wasser, mein Schweiß klebte auf der Kunststoffhaut.
Bevor ich mich umdrehte, legte ich den Apparat auf den Nachttisch. Suko und Shao traten zur Seite, damit ich Platz bekam, um aufzustehen. Auf dem Bettrand blieb ich sitzen. Mein Gesicht war hinter den Händen verborgen, denn ich mußte zunächst einmal selbst mit mir ins reine kommen, was mir aber kaum gelingen würde, das wußte ich, denn zu stark wühlten die Erinnerungen der Vergangenheit noch in mir. Es war mir unmöglich, mich von ihnen zu lösen, obwohl meine Phantasie in diesen Augenblicken nicht manipuliert wurde, aber die Erinnerung war ebenfalls sehr mächtig und machte mir schwer zu schaffen.
Mit einem Ruck stand ich schließlich auf, schaute meine Freunde an und umarmte sie dann.
»Danke…«
»Wofür?« fragte Suko.
»Das erzähle ich dir später.«
»Ja, und wir haben dir auch etwas zu berichten.« Während dieser Worte hatte ich sie anschauen können und sah die Sorge in ihrem Gesicht.
»Ich kann es mir denken, Shao, schließlich haben Suko und ich gemeinsam gegen die Voodoo-Fürstin gekämpft.« Dann schaute ich an mir hinab. Der Schlafanzug sah zerknittert aus. »Ich werde mich etwas frisch machen und mich dann anziehen. In dieser Nacht wird wohl keiner von uns mehr schlafen können.«
»Richtig!« bestätigte Shao. »Auch wenn Glenda gleich hier erscheinen wird, einen Kaffee werde ich trotzdem kochen.«
***
Ich hatte unter der Dusche gestanden und versucht, einen klaren Kopf zu bekommen. Ein Wunschtraum, der nicht in Erfüllung gegangen war, denn immer wieder mußte ich über die Vorgänge grübeln und dachte auch daran, was ich eventuell falsch gemacht hatte.
Mir fiel nichts ein.
Das war keine Überheblichkeit, aber es gab keine Fehler, die ich mir hätte ankreiden können. Ich war davon überzeugt, daß ein anderer ebenso, zumindest ähnlich gehandelt hätte. Letztendlich war es nur ein profanes Klingeln an der Tür gewesen, das mich aus diesem schrecklich Zustand befreit und auch dafür gesorgt hatte, daß Glenda Perkins noch am Leben war.
Ein schlichtes Klingeln an der Tür.
Wieso? Warum? Dabei war ich tief in meine fürchterlichen und fremd bestimmten Phantasien eingesunken. War es denn möglich, daß dieses normale Geräusch die Kräfte der Hexe außer Kraft gesetzt hatten?
So mußte es sein, doch den tieferen Grund hatte ich nicht erfahren, und es hing auch nicht mit meinem Kreuz zusammen.
Im Schlafzimmer zog ich mich an und hatte soeben die weichen Slipper übergestreift, als es wieder schellte. Diesmal betrat Glenda Perkins die Wohnung.
Suko hatte geöffnet, weil Shao noch in der Küche beschäftigt war. Ich sah aus einer gewissen Entfernung, wie sich Glenda in Sukos Arme warf, und es war eine Umarmung der Erleichterung, wie bei einer Person eben, die haarscharf dem Tod entwischt war.
Dann ging ich ihr entgegen. Suko hatte Glenda zur Seite geschoben, damit sie mich sehen konnte.
Wir waren über die Jahre so vertraut miteinander geworden, nun aber blickten wir uns an wie zwei Fremde. Und als hätten wir uns abgesprochen, schüttelten wir beide die Köpfe.
Ich blieb stehen und wollte sie umarmen.
Glenda behielt ihre Winterjacke aus braunem Rauhleder an, als sie ihre Hände in die meinen legte.
Dann blickte sie in mein Gesicht, und ich las die Qualen in ihren Augen. »Sag mir jetzt, daß ich hier bei euch bin. Sag es mir, denn ich kann es noch immer
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