0948 - Leonoras Alptraumwelt
etwas.«
»Das ist sogar was!« sagte Glenda. Sie stieß mich mit dem Ellbogen an. »Weißt du, was du jetzt tun wirst, John?«
»Nein - ja…«
»Du nimmst dieses Telefon hier.« Sie holte den Apparat vom Tisch und drückte ihn mir in die Hand. »Du wählst jetzt Brachts Nummer. Es spielt dabei keine Rolle, wie spät oder wie früh es ist. Er muß versuchen, durch einen Traum zu diesem Voodoo-Weib zu gelangen. Eine andere Chance gibt es nicht.«
Suko war aufgestanden. Er kam mit dem Telefonheft zurück, schlug die richtige Seite auf und schaute mich dabei an. »Bist du bereit, John?«
Ich nickte. »Ja, du kannst damit anfangen.«
»Okay.«
Er sprach die einzelnen Zahlen langsam aus, damit ich sie auch mitbekam. Ich war sehr konzentriert, trotzdem zitterten meine Finger beim Wählen, aber ich tippte nicht daneben. Nachdem ich die letzte Zahl gedrückt hatte, sagte ich: »Dann können wir nur hoffen, daß Barry auch in seiner Wohnung ist…«
***
Barry F. Bracht wußte genau, wer er war. Auf der einen Seite arbeitete er als Lektor bei einem Verlag, das aber war wirklich nur ein Teil seines Lebens, der andere lag versteckt in einer nicht faßbaren Welt. In der Dunkelheit der Träumerei, der Phantasie, in fremden Welten, in die er eintauchen konnte, aber nur dann, wenn ihn der Schlaf überfallen hatte und es einen Grund gab.
Normalerweise schlief er wie jeder andere Mensch auch, aber es gab Nächte, da befreite sich sein zweites Ich von seinem Körper und machte sich als selbständiges Etwas auf die Reise.
Dann war er nicht mehr Barry F. Bracht, der Lektor, sondern Zebulon, der Schattenkrieger, eine Fantasy-Figur aus einer anderen Welt oder Zeit. Da war er in der Lage, große Entfernungen in Sekunden zu überbrücken; er tauchte in fremde Dimensionen und unbegreifliche Verstecke ein, um das Böse zu vernichten, das sich immer wieder bildete.
Zebulon war ein Phänomen. Nicht nur von seiner Gestalt her, auch von seinem Aussehen, denn der Schattenkrieger hatte mit dem Körper eines Barry F. Bracht überhaupt nichts zu tun. Das waren in der Tat zwei verschiedene Welten.
Als Bracht in dieser Nacht oder den frühen Morgenstunden durch den Anruf geweckt wurde, fand er sich zunächst nicht zurecht. Ihm ging es nicht gut, denn am Abend war eine kleine Weihnachtsfeier außerhalb des Verlags, aber mit Verlagsleuten gewesen, und die Kollegen hatten ganz ordentlich gebechert.
Es war spät geworden, und Barry hatte genug gehabt.
Das Telefon ließ ihm keine Ruhe. Die Geräusche drangen in sein Bewußtsein, als wäre jemand dabei, mit einer widerlichen Säge daran zu arbeiten. Um diesem Quälgeist zu entgehen, blieb ihm nichts anderes übrig, als abzuheben.
Barry F. Bracht lebte in einer kleinen Wohnung unter dem Dach. Mehr brauchte er nicht, und dementsprechend klein mußten auch seine Möbel sein, was ihn nicht störte. Hauptsache, er hatte all seine Bücher untergebracht.
Er schlief nicht in einem normalen Bett, sondern auf einer Couch, die unter dem schrägen Dachfenster stand. Wenn er mit offenen Augen dalag, konnte er den Himmel beobachten und das sich darauf abzeichnende Wolkenspiel. Oft genug sah er auch den Vollmond, zu dem er ein besonderes Verhältnis hatte, denn seine Strahlung bewirkte, daß sich sein Zweitkörper leichter löste.
Bracht stöhnte, als er sich nach links wälzte, um in die Nähe des Telefons zu gelangen. Er streckte den Arm aus. Etwas fiel um, blieb liegen, dann berührte er den Schalter einer altmodischen Lampe, und unter dem Pergamentschirm leuchtete eine Birne auf.
Barry fand den Hörer. Mühsam hob er ab. Das Geräusch verstummte. Bracht hustete, bevor er sich noch melden konnte, und er hörte die Männerstimme. »Barry F., bist du es?«
»Nein, meine Mutter.«
»Mach keine Witze.«
»Ich bin tot.«
»Dann spreche ich also mit einem Toten?«
»Kommt darauf an, wenn du mir sagst, wer du bist.«
»John Sinclair!«
Es gibt immer gewisse Tricks, mit denen man einen leicht Betrunkenen wach bekommen kann. Bei dem einen war es ein Wasserguß, beim anderen ein hartes Rütteln, bei Barry F. Bracht sorgte schon die Stimme des Anrufers dafür, ihn beinahe nüchtern werden zu lassen. Deshalb sagte er auch:
»Sag, daß ich mich verhört habe.«
»Hast du nicht.«
»Scheiße.«
»Ein hartes Wort für eine weiche Masse, Barry, aber…«
»Hör doch auf, Geisterjäger. Rede nicht so laut.« Bei jedem Wort verzog er sein Gesicht. »Weißt du eigentlich, wie es mir geht?«
»Das kann ich
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