0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
Noch sind wir nicht in Sicherheit, aber wir können hier nicht zu lange bleiben. Dieses Reich ist nichts für dich, du bist noch nicht soweit. Ich wollte nur nicht, daß es dir so ergeht, wie es mir einmal ergangen ist. Du kannst nur sehr wenigen Menschen trauen, am meisten mir.«
»Aber ich sehe alles.«
»Das kann ich mir denken.«
»Ich sehe die Welt, aus der ich stamme. Ich sehe das Zimmer, und ich sehe den Mann.«
»Ihm kannst du vertrauen.«
»Sollen wir nicht zu ihm gehen?«
»Warum?«
»Ihm sagen, daß…«
»Er schläft.«
»Das ist richtig, Caroline, aber ich habe das Gefühl, daß er uns hören kann.«
»Vielleicht. Er wird seine Pflicht tun. Wir werden die unsere tun. Ich möchte dich nur retten.«
»Ja, wenn das so ist – schade eigentlich. Ich hätte ihm gern noch etwas mitgeteilt.«
»Später vielleicht…«
Die Stimmen versickerten. Sie schwebten davon, als würden sich Engel entfernen. Schließlich waren sie ganz verschwunden, zumindest für mich.
Ich schlief. Oder nicht? Ich hörte sie zumindest nicht mehr, aber ich selbst befand mich in einem ungewöhnlichen Zustand. Ich hätte eigentlich wach werden wollen, der Wille dazu war vorhanden, nur blieb ich trotzdem liegen, als hätten sich schwere Gewichte gerade meinen Körper ausgesucht.
Wieder tauchte ich weg. Hinein in die Leere, auch in die Lautlosigkeit. Ich schlief, ich mußte schlafen und mich ausruhen, und ich träumte davon, daß sich jemand meinem Bett näherte und mir einen Blick zuwarf.
Den Mann kannte ich gut. Es war ein Freund, denn Suko war gekommen, um nach mir zu schauen. Er sagte sogar etwas, aber ich konnte ihm keine Antwort geben. Dann ging er wieder weg. Mir kam es vor, als würde er sich einfach auflösen.
Einen Ruck spürte ich nicht, aber es kam mir so vor, denn diesmal sackte ich weg in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Ich hörte keine Stimmen. Ich sah keine verschwommenen Bilder.
Das Unterbewußtsein schickte mir nicht mehr zu, als ich im Traum verarbeiten konnte. Ich schlief tief und fest, bis ich plötzlich erwachte.
Auf einmal war ich voll da, setzte mich sofort auf, nachdem ich die Augen geöffnet hatte, und blickte mich erstaunt in meinem Schlafzimmer um. Natürlich war die Erinnerung da, und der erste Blick galt dem Spiegel, der noch dort stand, wo ich ihn abgestellt hatte.
Den zweiten Blick schickte ich zum Fenster. Was ich dort sah, gefiel mir nicht so sehr. Nicht daß ich ein Freund der Dunkelheit gewesen wäre, aber draußen hatte sich der helle Tag ausgebreitet. Der Blickausschnitt durch das Fenster sah aus wie eine Postkarte, bei der vor allen Dingen der blaue Himmel auffiel. Winterlich blau und auch wolkenlos, wie frisch gestrichen.
Die Sonne sah ich nicht. Ich wußte, daß sie schien. Das war im Wetterbericht vorausgesagt worden. Ich schüttelte den Kopf, schaute erst gar nicht auf die Uhr, sondern konzentrierte mich auf mich selbst und stellte dabei fest, daß ich mich ziemlich fit fühlte. Der Schlaf der letzten Stunden hatte mich doch einigermaßen erfrischt.
Er hatte, wie man so schön sagt, richtig gutgetan.
Ich saß auf der Bettkante, die Beine angewinkelt, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, schaute wieder den Spiegel an und suchte darin nach einer Veränderung.
Es gab sie nicht.
Die Fläche sah aus, wie ich sie in Erinnerung behalten hatte.
Und doch hatte er sich auf eine ungewöhnliche Art und Weise gemeldet, während ich im Bett gelegen und geschlafen hatte. Ich erinnerte mich dunkel daran, Stimmen gehört zu haben. Fremde Stimmen und keine Männerstimmen.
Da hatten sich zwei weibliche Wesen unterhalten. Mehr aber auch nicht. Mir fiel trotz angestrengten Nachdenkens nicht ein, worüber sich die beiden unterhalten hatten. Zudem überlegte ich jetzt – während ich mich erhob –, ob ich mir die Stimmen vielleicht eingebildet hatte.
Da mir im Moment keine Lösung einfiel, dachte ich darüber auch nicht weiter nach, verließ mein Schlafzimmer und ging ins Bad.
Wenn man schon verschläft, so wie es bei mir der Fall gewesen war, dann durfte man alles tun, nur eines nicht: nicht in Hektik und Panik verfallen, sondern alles ruhig angehen lassen. Hetze und Ärger führten letztendlich zu einer Nervosität, die überhaupt nicht gut war.
Das nahm ich mir alles vor und stieg dann in die Duschwanne. Die heißen Strahlen taten mir gut. Ich hörte zwar das Telefon, ging aber nicht hin, um abzuheben. Im Moment konnten sie mich alle mal kreuzweise. Ich mußte erst wieder fit
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