0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
Sinclair.«
»Und, was denkst du über ihn, Marion?«
»Weiß nicht genau.«
»Ist er gut oder schlecht? Was hast du für ein Gefühl?«
»Eher gut.«
»Dann können wir ja zufrieden sein.«
»Und was sollen wir jetzt machen?« fragte Marion mit weinerlich klingender Stimme. Sie kam sich plötzlich so verloren vor. »Was sollen wir tun? Wir können nicht hier in der fremden Wohnung bleiben. Ich weiß auch, daß sich meine Mutter Sorgen macht. Ich möchte sie anrufen und ihr Bescheid geben, daß es mir gutgeht. Das verstehst du doch – oder?«
Caroline nickte ihr zu, als sie murmelte: »Ja, Marion, das verstehe ich. Das verstehe ich sogar sehr gut. Aber…«
»Bitte kein Aber…«
»Doch!«
»Warum denn?«
Caroline streckte ihr die Hände entgegen. »Komm her, Marion, bitte, komm zu mir!«
»Warum?«
»Tu es einfach.«
Das blonde Mädchen löste sich vom Fenster und schritt um das Bett herum auf Caroline zu. Sie war fest entschlossen, Caroline nach den Gründen zu fragen, aber sie schaute plötzlich in die dunklen Augen des anderen Mädchens, und darin lag der Ausdruck, gegen den Marion nicht ankam. Er glich bereits einem geistigen Befehl, der Marion auch erreichte und alles aus ihrem Kopf herausräumte, was nach Carolines Meinung unwichtig war. Es blieb einzig und allein die Botschaft des dunkelhaarigen Mädchens zurück.
Marion hatte den Anruf vergessen. Sie vertraute von nun an voll und ganz auf Caroline, die den Mund zu einem Lächeln verzogen hatte, als wollte sie jemanden willkommen heißen. »Wenn ich bei dir bin, wird dir nichts geschehen, meine Liebe.«
»Ja, das glaube ich jetzt auch. Aber wir könne nicht in der Wohnung bleiben – oder?«
»Nein, das hatte ich nicht vor.«
»Und was sollen wir tun?«
»Wir gehen weg.«
»Wohin?«
»Ich erzähle es dir später.«
»Und was ist mit dem Spiegel? Willst du ihn hier in der Wohnung lassen, oder nehmen wir ihn mit?«
»Wir nehmen ihn mit.« Caroline lachte, als sie das überraschte Gesicht der neuen Freundin sah. Sicherlich dachte Marion auch an das Gewicht des Spiegels, das schien Caroline nicht zu stören. Sie war schon dorthin gegangen, wo neben dem Kleiderschrank ein rehbrauner Koffer auf dem Boden stand, der von den Umrissen her etwas größer war als der Spiegel, so daß dieser bequem dort hineinpaßte.
Marion Bates war in diesem Fall nicht mehr als eine Statistin. Sie schaute zu, wie Caroline den Koffer auf den Boden legte, den Deckel anhob, danach den Spiegel nahm und ihn in der unteren Hälfte des Koffers verstaute. Sie schnallte ihn sogar noch mit dem Riemen innen fest, klappte den Deckel wieder zu und war zufrieden.
»Es geht doch«, sagte sie.
Marion wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Jetzt sollen wir gehen?«
»Es wäre günstig.«
»Aber warum denn?«
»Ich möchte dir etwas zeigen.«
»Und was?«
Caroline blieb ruhig. »Keine Aufregung, Marion. Du wirst es noch früh genug sehen, und ich kann dir schon jetzt sagen, daß es dich auch interessieren wird.«
»Meinst du wirklich?«
»Verlaß dich auf mich.«
Hundertprozentig hatte Caroline die blonde Marion nicht überzeugen können. Sie suchte nach Einwänden und fand auch welche.
»Ich möchte aber nicht nach draußen.« Sie strich über ihr Kleid und rückte die verrutschte Brille wieder zurecht. »Draußen ist Winter. Es ist kalt. Ich habe nur das Kleid an und…«
»Hol dir Sachen aus dem Schrank!«
Die Augen hinter der Brille weiteten sich. »Von einem Erwachsenen?«
»Ja, wenn du eine Strickjacke findest.«
»Und was machst du?«
Caroline lächelte weise. »Ich friere nicht, Marion. Verlaß dich darauf.«
»Na ja, ich weiß nicht so recht.«
»Tu es.«
Das blonde Mädchen ging zum Kleiderschrank, öffnete dort eine Tür und war nicht mal enttäuscht, als es nur Männerkleidung sah, die ihr zu groß war.
Eine Strickjacke fand sie trotzdem. Sie lag zusammengefaltet in einem für sie erreichbaren Regalfach. Eine dunkelblaue Strickjacke mit Lederflicken in Höhe der Ellenbogen.
Die streifte sie über und mußte lachen, als sie feststellte, daß ihr die Jacke bis fast zu den Waden reichte, aber Caroline wußte auch jetzt Rat. Sie deutete an, daß Marion die Jacke vor ihrem Körper verknoten konnte, was sie auch tat. So gekleidet wirkte sie bereits ganz anders.
»Das geht doch.«
»Meinst du?«
»Für die kurze Strecke schon.«
»Dann gehen wir nicht weit?«
Caroline wiegte den Kopf. »Das will ich nicht sagen, aber wir werden ein Taxi
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