0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
ihn nicht, der Himmel war blank wie selten, so konnten die Sterne die Grüße aus der Unendlichkeit des Alls schicken.
Aber eine gewisse Ellen Bates machten sie auch nicht mehr lebendig, und das machte mir doch zu schaffen.
Wieder einmal erreichte ich meinen Wagen. Bevor ich die Zentralverriegelung löste, warf ich einen Blick auf den Beifahrersitz und war beruhigt, als ich dort die dunkle, schimmernde Fläche sah. Der Spiegel lag also noch dort.
»Du bist die Lösung«, murmelte ich beim Einsteigen. Ich schloß die Tür, schnallte mich an, und meine Stirn zeigte ein Muster aus Falten, denn plötzlich mußte ich wieder an Marion denken.
Ich hoffte natürlich, sie retten zu können, obwohl ich nicht wußte, wo und in welcher Welt sie sich aufhielt. Sollte jedoch alles zu einem glücklichen Ende gelangen, würde sie trotzdem der Schlag des Schicksals wie ein Keulenhieb treffen, denn dann würde sie auch erfahren, daß ihre Mutter nicht mehr lebte. Und vielleicht war ich derjenige, der ihr das beibringen mußte.
Ich konnte mich von diesem Gedanken befreien, aber ein anderer wollte mir nicht aus dem Sinn. Ich dachte wieder an den Mord an Ellen Bates. Mir fiel auch ein, daß der Killer nicht nur sie hatte umbringen wollen, sondern auch noch eine andere Person.
Ein Mädchen, fast noch ein Kind!
Der Gedanke daran ließ einen weiteren Kloß in meinem Hals entstehen. Durch das Verschwinden in den Spiegel, so folgerte ich, konnte Marion noch einmal Glück gehabt haben.
Mit diesem Gedanken drehte ich den Zündschlüssel. Der Motor sprang sofort an. Ich schaltete Heizung und Gebläse auf die höchste Stufe.
Dann fuhr ich meinem Zuhause entgegen. Endlich, denn die Nacht war hart gewesen…
***
Meine Wohnung, die Zimmer, die Einrichtung, die Küche, das Bett, das alles kannte ich. Es war nichts Besonderes und gehörte einfach zum Durchschnitt. Da war nichts von einem Innenarchitekten geschaffen, die Möbel konnte auch ein Normalverdiener bezahlen, aber zu dieser frühen Morgenstunde war ich froh darüber, diesen Durchschnitt erleben zu dürfen, denn es hätte auch anders kommen können, ganz anders. Da hätte man mich anstatt einer Ellen Bates abtransportieren können.
Ich war leise nach Hause gekommen und hatte auch meinen Freund Suko nicht geweckt. Er und Shao lebten nebenan, obwohl ich mir gut vorstellen konnte, daß Suko nicht mehr eingeschlafen war. Anrufe wie meiner brachten ihn leicht aus der Fassung.
Den Spiegel hatte ich natürlich mitgenommen. Ich stellte ihn in das Schlafzimmer und mußte mir zunächst einmal eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holen. Mich quälte ein starker Durst, den ich mit einigen langen Schlucken löschte. Zwar hatte ich mir vorgenommen, noch zu schlafen, ob es klappte, war fraglich. Ich faßte noch mal Wasser nach und ging dann in mein Schlafzimmer zurück.
Mit müden Bewegungen schlüpfte ich aus der Kleidung. Zumindest die Hose und die Jacke sahen etwas ramponiert aus, denn auf dem Boden des Hausflurs war es nicht eben sauber gewesen. Die Jacke ließ sich abbürsten, die Hose würde ich wechseln, wenn ich in das Büro fuhr.
Es war schon seltsam, welche Gedanken da auf mich einströmten, aber auch ich litt noch irgendwie an den Folgen dieser Nacht und wurde auch immer an die Ereignisse erinnert, wenn ich den Spiegel bei mir im Schlafzimmer stehenließ.
Er sollte dort bleiben. Irgendwie kam mir dieser Platz sicherer vor, denn ich konnte mir vorstellen, daß es noch andere Personen gab, die hinter ihm her waren.
Dieser Spiegel war etwas Besonderes. Seinetwegen hatte Ellen Bates Besuch bekommen. Ich ging einfach davon aus, denn was hätten diese Typen dort sonst suchen sollen?
Mich machte nur ihre Brutalität stutzig und ließ mich zugleich schaudern. Daß diese Leute nicht auf eigene Rechnung arbeiteten, war mir schon klar, aber wer, zum Teufel, steckte hinter ihnen? Wer hatte sie geschickt und ihnen den Auftrag erteilt?
Das war die große und alles entscheidende Frage, auf die ich eine Antwort finden mußte. Aber nicht mehr in den nächsten beiden oder auch drei Stunden. Auf keinen Fall wollte ich in dieser Zeit wach bleiben. Der Körper verlangte sein Recht.
Als ich mich hinlegte, spürte ich beinahe jeden meiner Knochen.
Da schmerzten die Muskeln, als hätte ich eine gewaltige Kletterei hinter mich gebracht. Es konnte alles an der Müdigkeit liegen, die einfach zu übermächtig geworden war.
Ich lag auf dem Bett.
Es tat gut.
Ich streckte mich. Es tat ebenfalls gut.
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