0950 - Visionen des Untergangs
Lorik.«
»Der, ah ja.« Michels Gesicht verdüsterte sich. »Dann viel Spaß.«
Der Psychologie- und Anglistik-Student ging an der Universitätskapelle Ste. Ursule zur Parapsychologischen Fakultät hinüber. Schon von Weitem sah er Lorik Cana. Der etwas dickliche Blondschopf, der ausschließlich in teuren Maßanzügen und steifen weißen Hemden auftrat, stand abseits unter einem Zierbaum und diskutierte, den Gesten nach zu urteilen, anscheinend äußerst lebhaft mit dem unumschränkten Herrscher der PPF, wie die Parapsychologische Fakultät unter den Stundenten kurz genannt wurde, Professor Charles Darien.
Bonnart spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte und der Magen zusammenkrampfte. Er schluckte kurz und steuerte dann auf die beiden Männer zu. Sie unterbrachen ihr Gespräch und schauten ihm entgegen.
»Ah, Laurent«, sagte Darien, ein mittelgroßer, schlanker Mann mit wirren, silbergrauen Haaren, zahlreichen tiefen Falten im Gesicht und Augen, denen die schwarzen Pupillen einen unangenehm stechenden Blick verliehen. Daran änderte auch das freundliche Lächeln nichts. »Ich freue mich, Sie zu sehen. Was machen die Studien? Und dürfen wir heute Nacht wieder mit Ihnen rechnen?«
»Ja, natürlich.«
»Gut, sehr gut«, erwiderte der Parapsychologie-Professor mit großer Geste. »Ich freue mich immer, wenn Sie dabei sind, Laurent. Sie wissen eben ganz genau, was das Leben so schön und lebenswert macht.«
Bonnart lächelte zurück. »Ja, ah, Professor, Lorik, ich wollte mich nur nochmals erkundigen, ob das mit der Engelsmaskenfrau heute klappt.«
Lorik Cana, Sohn aus reichem Hause und ausschließlich Parapsychologie-Student aus Passion, wie er immer betonte, grinste hämisch und legte seinen Arm um Bonnarts Schultern. »Laurent, Laurent«, sagte er, »dein Verlangen nach dieser Hexe nimmt ja langsam schon fast zwanghafte Formen an. Genügen dir die anderen nicht? Die sind doch auch klasse. Warum versteifst du dich so sehr auf die Rothaarige?« Cana kicherte albern. »Versteifst dich, das ist gut, was?«
»Du weißt es doch genau, Lorik. Sie hat meinen Kumpel auf so sensationelle, ausgefallene Weise bedient, viel besser als alle anderen. Und deswegen möchte ich das auch mal erleben. Ich brauche einfach neue Kicks.«
Canas Grinsen erlosch. »Ja, klar, das hast du mir erzählt und es stimmt ja auch, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Und Sie doch auch, Professor, nicht wahr?«
»Sie ist eine Wucht, ja.« Charles Darien nickte. Er schien Bonnart die ganze Zeit unverwandt zu mustern, was diesem total unangenehm war. So unangenehm, dass er unwillkürlich Schultern und Hals zu drehen begann.
»Also, siehst du, Laurent, und du sollst sie ja auch haben, wenn's möglich ist, denn wir sind doch gute Freunde, nicht wahr? Aber es ist ein Glücksspiel, die Hexen sind nicht immer abkömmlich. Und wir können sie zu nichts zwingen, verstehst du? Vor allem nicht diese, denn die ist besonders mächtig und kommt, wann sie will. Die Rothaarige mit der Engelsmaske hat zwar für heute Nacht zugesagt, aber du weißt ja… Ich hoffe, dass es dieses Mal klappt.«
Ja, du Blödmann, red du nur. Hexen, pah. Das sind ganz normale Nutten und die kommen immer, wenn man bloß genug Geld hinlegt.
Lorik posaunte zwar immer in der Gegend herum, er habe Kontakt zu einem Hexenzirkel, aber das war Angeberei. Wahrscheinlich glaubte er, dass ihn das interessanter machte. Es gab keine Hexen. Jedenfalls keine mit dämonischen Fähigkeiten. Auch wenn Charles Darien genau das in letzter Zeit ebenfalls verstärkt behauptete. Es gab nicht wenige seiner Studenten, die glaubten, dass er gerade dabei war, durchzuknallen. Und wenn er nicht aufhörte, von Satans Reich auf Erden zu faseln, das demnächst kommen würde, und das er als dessen Stellvertreter führen würde, dann würde Darien ganz sicher ganz schnell ein Ex-Professor der PPF an der altehrwürdigen Sorbonne sein.
Bonnart war es egal. Ihn interessierten die Partys, sonst nichts. Wenn Lorik und Darien ihnen das Hexenmäntelchen umhängen wollten, bitte, warum nicht. Hauptsache, er hatte seinen Spaß. Und das auch noch kostenlos.
Bonnart nickte. »Also gut, ich hoffe auch, dass es klappt.«
Gegen zehn Uhr abends fuhr er in den Pariser Osten. Dort besaß Lorik Cana im Gebiet zwischen dem Friedhof Père Lachaise und dem Place de la Nation ein eigenes Stadthaus.
Bonnart stieg aus und ging die Häuserfronten entlang. Es herrschte ziemlich viel Betrieb hier. Autos schoben
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