0952 - Nacht über New Amsterdam
tatsächlich lebende Tote durchs nachtschlafende Manhattan wandelten und Tod und Zerstörung brachten. Irgendwo musste da ein Zusammenhang bestehen. Die Übereinstimmungen waren schlicht zu eklatant, um als Zufall gelten zu können. Nur wo? Winston jenseits der Spiegelscheibe war sichtlich am Ende seiner beschränkten Weisheit. Der Bucklige von Soho, wie Zamorra ihn insgeheim getauft hatte, hatte ihnen alles gestanden, was er zur Aufklärung der bizarren Geschehnisse beitragen konnte. Oder?
Der Meister des Übersinnlichen nickte schweigend. Das NYPD hatte seine Arbeit erledigt. Was als Nächstes zu tun war, fiel in seinen, in Zamorras eigenen Bereich.
Der Professor stand in dem kleinen Kabuff im dritten Stock von Police Plaza One und schaute durch die Spiegelscheibe auf den Buckligen, den zu fassen er zumindest ein wenig beigetragen hatte, konnte sich des Gefühls aber nicht erwehren, dass dieses abstruse Abenteuer für ihn soeben erst richtig begonnen hatte.
Es würde gefährlich werden, daran bestand kein Zweifel. Aber er hatte mehr als eine ausweglose Lage überstanden. Er würde auch diese überstehen. Wenn nur nicht…
Erst als Andy ihn darauf ansprach, merkte er, dass er laut geseufzt haben musste. »Woran denken Sie, Professor?«, fragte der junge Sergeant und sah ihn besorgt an.
Zamorra lächelte grimmig. »An das nächste Kapitel dieses Stücks. Und an das, was mein Instinkt mir sagt.«
Millerton wirkte besorgt. »Nämlich?«
»Dass ich etwas übersehen habe«, gestand der Dämonenjäger. »Irgendwo in dieser Geschichte ist mir eine Information durch die Hände geglitten. Ich weiß nicht mehr, welche oder wo. Aber ich fürchte, ich werde sie brauchen, wenn es losgeht.«
»Wenn was losgeht?«, fragte Andy mit sichtlichem Unbehagen. Im schwachen Licht, das durch die Spiegelscheibe ins kleine Beobachterzimmer fiel, wirkte er blass wie ein Gespenst.
Der Professor schluckte. »Was immer uns jetzt hemmt.«
Kapitel 8 - Nacht über New Amsterdam
Rauch. Und Schatten.
Wabernder Nebel verhüllt die Sicht. Und er stinkt. Zamorra atmet ihn ein, hustet, würgt. Tabak! Das riecht nach Tabak - nur viel zu intensiv, um noch Genuss zu sein.
Was zum Teufel…
Der Meister des Übersinnlichen schwebt. Er fliegt durch das Nichts aus Schwärze und Qualm, Arme und Beine von sich gestreckt, doch da ist kein Boden, der ihm Halt bieten, keine Wände, die ihm Stütze sein könnten. Und er stöhnt.
Sein ganzer Leib schmerzt, als stünde er in Flammen. Jeder Muskel, jede Faser - alles brennt. Ihm ist, als zögen Ameisen über seinen Körper und malträtierten ihn mit kleinen, unfassbar spitzen Speeren. Doch er kann nichts tun, kann die Qual nicht beenden. Er ist Beobachter hier, das begreift er instinktiv, gefangen in sich selbst.
Und er hat keine Ahnung, wo dieses Hier ist.
Andy? Zandt? Diane?
Niemand antwortet auf seinen Ruf. War es überhaupt einer? Die Stille ist irreal und allumfassend, nahezu lauter als das lauteste Geräusch. Nichts kommt gegen sie an. So eine Stille kann einen Menschen fürchten lassen, taub geworden zu sein.
Was ist das? Aus den Schwaden formt sich eine Gestalt, direkt vor ihm… Nein, keine Gestalt. Ein Objekt. Zamorra kneift die Lider enger zusammen, konzentriert sich. In der seltsamen Dämmerungsstarre dieses Ortes ist es schwer zu erkennen.
Ein Mikrofon. Eines dieser alten, verchromten Teile, wie sie in den Fünfzigern und Sechzigern verwendet wurden. Es steht auf einem kleinen braunen Ständer, an dessen Boden etwas eingraviert zu sein scheint. Wenn er nur ein wenig näher käme, könnte Zamorra es vielleicht entziffern.
Er strengt sich an… und schafft auch das. Larry Kring Live steht in silbernen Lettern auf dem Sockel. Eigenartig.
Und die Schwaden bilden eine Hand. Geisterhaft und blass, aber unverkennbar menschlich. Sie steckt in einem Handschuh, an dessen Ende sich ein braunes Gewand anschließt. Weiße Spitze lugt am Übergang hervor. Und sie greift nach dem Mikrofon im Nichts.
»Ich hätte Bockenheim nie verlassen sollen.« Stimmen aus der Stille. Klagend. Ein Wehgeschrei.
»Aber die Verlockung war zu groß.«
»Und das Unrecht schrie zum Himmel.«
Erst jetzt merkt Zamorra, dass es sich immer um dieselbe Stimme handelt, nur kommt sie aus verschiedenen Richtungen. Ist das der Mann, zu dem Handschuh und Gewand gehören? Er sieht nicht mehr von ihm, kein Gesicht, kaum eine nennenswerte Statur. Dort wo sein Antlitz hätte sein müssen, sind nur Qualm und Schatten unter einem
Weitere Kostenlose Bücher