Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0952 - Nacht über New Amsterdam

0952 - Nacht über New Amsterdam

Titel: 0952 - Nacht über New Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
Vom Netzwerk:
breiten Hut, der aussieht, wie etwas aus einem vergangenen Jahrhundert.
    Bockenheim? Wo liegt das? Klingt nicht gerade amerikanisch, oder?
    Plötzlich, und mit unbeschreiblicher Akuratesse, bildet sich ein Stab aus den Schwaden. Zamorra weiß es nicht zu begründen, aber irgendetwas an dieser neuerlichen Erscheinung treibt ihm, der er noch immer schwere- und lautlos durch die Leere gleitet, den Schweiß auf die Stirn.
    Angstschweiß.
    Der Stab wird detaillierter, entwickelt Biegungen, Vorsprünge… und ist ein Gewehr. Nein, eine Art Bajonett! Silbrig glänzend in den Schatten, als gäbe es irgendwo eine Lichtquelle, von dem es allein wüsste. Es entbehrt jeglicher Logik, doch der Anblick dieses aus Rauch geformten Schießgeräts versetzt den Meister des Übersinnlichen in eine Panik, wie er sie selten zuvor verspürte. Blut rauscht in seinen Ohren. Das Herz schlägt so schnell, als wolle es aus dem Tod geweihten Körper fliehen, solange es noch kann. Zamorras Brustkorb, eine stete Quelle unerträglicher Pein, hebt und senkt sich, weil die Lunge nach Luft schnappt wie ein Ertrinkender nach der rettenden Leine, die er aber doch nicht erreicht.
    Was ist hier los? Was geschieht mit mir?
    Zuckende Augen. Knirschende Zähne. Schmerz überall. Und das Gewehr.
    »Nehmt es wie ein Mann, Leisler!«, dringt eine neue, härtere Stimme aus den Schatten. Zamorra spürt, dass sie zu der Waffe gehören muss. »Sterbt wenigstens mit Würde, wenn Ihr schon nicht so leben könnt.«
    Nein!
    Obwohl die Ansage nicht ihm gegolten haben kann - Leisler? Wer oder was war Leisler? - ahnt Zamorra, dass er in Gefahr ist. Himmel, sein ganzer schreiender Körper beweist es ihm! Er muss weg hier. Schnell. Bevor sich der Abzug krümmt.
    Weg!
    Doch der Abzug krümmt sich. Ein Schuss fällt.
    Und Zamorra schreit.
    ***
    Als er erwachte, sah er nur Dunkelheit und glaubte für einen entsetzlichen, endlos scheinenden Moment, das Ende seines Weges erreicht zu haben. Ein für alle Mal. Und es schmerzte ihn zutiefst, nach all den Jahren und Gefahren so ratlos abtreten zu müssen. So ohne Verständnis. So allein.
    Dann aber hörte er den Verkehr draußen auf der 61. Straße Ost und wusste wieder, wo er sich befand. Auf der Couch in Andy Sipowicz kleiner Wohnung in Downtown Manhattan. Es war spät geworden, sodass er kurzerhand auf Andys Angebot eingegangen war, die verbliebenen Nachtstunden auf dessen bequemem Wohnzimmermöbel zu verbringen.
    Das Jaulen mehrerer Autoalarmanlagen und Polizeisirenen drang durch die geschlossenen Fenster. Melodie der New Yorker Nacht.
    Zitternd setzte Zamorra sich nun auf und sah in den dunklen Raum. Durch die Lamellenjalousien drang ein wenig Helligkeit ins Innere. Sowie sich seine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, machte er Formen in der Finsternis aus. Da waren der Fernseher, die Bücherregale, der Punchingball in der Ecke… Alles normal. Alles wie immer. Sicher.
    Er trat zum Fenster, spähte zwischen den Lamellen hindurch. Menschen liefen die Gehsteige auf und ab, redeten aufgeregt. War etwas geschehen?
    Zamorra wusste, dass das NYPD in dieser Nacht jeden verfügbaren Mann auf Patrouille hatte. Bewaffnet bis an die Zähne. Für den Fall, dass sich der Wahnsinn von der Tavern wiederholte. New York war so sicher, wie es unter den Umständen nur sein konnte .
    Er öffnete das Fenster einen Spalt, lauschte. Nach wenigen Momenten hatte er genug gehört, um zu wissen, dass kein übersinnliches, sondern ein ganz und gar irdisches Phänomen hinter dem Treiben vor dem Haus stehen musste. Allem Anschein nach hatte der Boden unter Inwood wieder gebebt. Nichts Bedrohliches oder sonderlich Bemerkenswertes, wenngleich diesmal auch der Rest von Manhattan ein wenig von dem Naturereignis abbekommen hatte. Zumindest genug, um ein oder zwei Auto-Alarmanlagen zu verunsichern und den Nachtschwärmern Gesprächsthema zu sein.
    Doch obwohl alles friedlich wirkte, konnte der Dämonenjäger den rätselhaften Albtraum nicht abschütteln. Nein, er saß ihm regelrecht in den Knochen. Wollte sein Unterbewusstsein ihm etwas mitteilen? Verarbeitete sein Geist im Schlaf die Eindrücke dieses bizarren Tages und wies ihn auf das eine Detail hin, das er übersehen zu haben fürchtete?
    Wenn ja, habe ich wieder versagt, denn ich habe keine Ahnung, was diese Bilder bedeuten sollen. Er seufzte. Bockenheim. Leisler. Kring.
    Letzteres war schnell interpretiert. Larry Krings Grab war die Stelle, an der der Fall für ihn begonnen hatte. Fertig. Aber

Weitere Kostenlose Bücher