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0952 - Nacht über New Amsterdam

0952 - Nacht über New Amsterdam

Titel: 0952 - Nacht über New Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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es sich.
    In der Ferne begann der dunkle Wald, doch direkt vor dem Château herrschten Licht und Sonnenschein vor. Vereinzelte Schäfchenwolken zogen über einen ansonsten azurblauen Himmel, und wenn er die Augen ein wenig zusammenkniff, konnte Zamorra in einigen Hundert Metern Entfernung sogar spielende Kinder ausmachen. Die Welt da draußen war friedlich - und den gleichen Frieden empfand er in sich selbst.
    Es war eine kleine Weile vergangen, seit er den Mächten der Hölle getrotzt hatte. Seit er gesiegt hatte, endlich und endgültig. Seit die Hölle vernichtet worden war.
    So absurd es auch klang, brachte ihn der Gedanke noch immer zum Lachen. Jahrzehnte seines an Aufregungen und Gefahren nicht armen Lebens hatte der Meister des Übersinnlichen dem Kampf gegen die Mächte dieser dämonischen Dimension und ihrer Herrscher gewidmet. Wieder und wieder hatte er nur Teilsiege errungen, wenn nicht sogar Niederlagen, und dem Kampf und seinen Folgen alles geopfert, was nötig gewesen war: seine Freizeit, sein Umfeld, die Normalität. Zumindest das, was die Menschen dort jenseits der sonnenbeschienenen Felder als Normalität kannten.
    Und nun stand er da, bereit die Früchte dieser Entbehrungen zu genießen, denn die Zeit des Opferns war vorbei.
    Die Hölle existierte nicht mehr.
    Und mit der Zeit würde auch die Gewohnheit kommen, die ihm erlaubte, diese Tatsache nicht instinktiv als absurd zu empfinden.
    Der Professor wollte sich gerade aufmachen, seinen Fensterplatz gegen einen Spaziergang durch den Sonnenschein einzutauschen, da erklangen Schritte hinter ihm, und eine wohlvertraute Stimme rief seinen Namen. »Monsieur le professeur« , grüßte William, Butler und gute Seele des knapp ein Jahrtausend alten Anwesens. »Bedaure, Sie stören zu müssen, aber da ist ein Anruf für Sie.«
    Erst jetzt bemerkte Zamorra das schnurlose Telefon in der Linken des Engländers. William hatte es auf stumm gestellt, wie ein kleines Lämpchen im Gehäuse des Gerätes signalisierte. Der Anrufer hörte nicht, was momentan gesprochen wurde. »Wer ist es?«
    Für einen bizarren Moment war er überzeugt, Pierre Robin und irgendeinen mysteriösen Fall am anderen Ende der Leitung zu finden, doch Williams Antwort verblüffte ihn noch mehr - weil der Name ihm nicht das Geringste sagte. »Ein Mr. Andy Sipowicz, Monsieur. Er sagte, es sei dringend.«
    Irrte er sich, oder haftete Williams Worten ein gewisser Tadel an. Vermutlich konnte der Butler mit dem Namen genauso wenig anfangen wie er. »Sipowicz?«, wiederholte Zamorra skeptisch und nahm den Hörer entgegen. »Wer soll das sein?« Dann betätigte er die Taste, die den Anrufer aus der Warteschleife beförderte und den Kontakt wieder herstellte. »Hier spricht Zamorra. Mit wem habe ich die Ehre?«
    »Professor, ich bin's, Andy«, antwortete eine gehetzt wirkende Männerstimme. »Ich… Es tut mir leid, dass ich Sie damit behellige, aber ich weiß momentan keinen anderen Ausweg.«
    Dem Klang nach schätzte Zamorra den Sprechenden auf Mitte Dreißig, und wenn ihn sein Gespür für Akzente nicht trog, stammte er von der Nordostküste der USA. New York? Mit einem Mal begriff er. Sipowicz… Etwa dieser Sergeant aus der Stadtvätergeschichte, damals mit Gryf? »Natürlich, Andy«, sagte er, während in seinem Geist die fehlenden Puzzlesteine an ihren Platz fielen. »Wie geht es Ihnen?«
    Vor einigen Monaten hatten der Silbermonddruide Gryf ap Llandrysgryf und die amerikanische Journalistin Jenny Moffat den jungen Beamten in den Häuserschluchten Manhattans kennengelernt. Damals hatte New York sich im Bann einer bizarren Mordserie befunden, die sich zwar als nicht übersinnliches Geschehen herausgestellt, wohl aber übersinnliche Wesen auf den Plan gerufen hatte: die unglaublich mächtigen, unglaublich alten Stadtväter. Nur einem aus der Not geborenen Pakt mit den tief unter Manhattan lebenden Kreaturen verdankte Zamorra es, dass er, Gryf, Jenny und eben Sipowicz heute überhaupt noch lebten. [2]
    Dass Andy - mit dem er während dieses Abenteuers kaum mehr als zehn Worte gewechselt hatte - ihn nun unangekündigt kontaktierte, verhieß nichts Gutes. Nicht schon wieder , bat der Professor in Gedanken. Ich bezweifle, dass uns warme Worte und ein Handschlag bei einer erneuten Begegnung mit den Stadtvätern aus der Klemme helfen werden. Vor seinem geistigen Auge sah er abermals die Nacht an der Küste, in den Hamptons. Als die Unheimlichen dem steinreichen Kriminellen Peter Menderbit bei lebendigem

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