0956 - Die Schlangenfrau
er groß?«
Judy verdrehte die Augen. Sie hatte keine Lust, sich länger mit der Beschreibung des jungen Conolly auf zu- halten. Sie wußte, daß Ginny große Jungen mochte, da sie selbst ziemlich groß war. Im Gegensatz zu Judy, denn die war eher klein, dunkelhaarig, hatte ein schmales Gesicht, aber einen drallen Po und wurde von vielen als niedlich angesehen.
Früher war sie von ihren Eltern immer als Püppi bezeichnet worden. Das hatte sie oft genug geärgert, und ihr Bruder redete sie auch heute noch oft so an.
»Weiß ich nicht genau.«
»Tu doch nicht so!« beschwerte sich Ginny. »Du gönnst mir nur nichts.«
»Aber ich gönne mir was.«
»Was denn?« Ginny war neugierig. Sie wollte immer etwas Neues erfahren, und das gelang auch. Es war zwar nicht in ihrem Sinne, aber Judy ließ sich nicht davon abhalten.
»Ich muß jetzt auflegen, sonst sind meine Eltern sauer, wenn dauernd besetzt ist. Außerdem wollte Eric noch anrufen. Er ist unterwegs.«
»Wo wollte er denn hin?«
Judy lief rot an. Da war sie wieder, die Neugierde ihrer Freundin. »In die Themse, Eisschollen killen.«
Ginny kicherte. Wahrscheinlich lachte sie noch, als Judy längst aufgelegt hatte. Eine schmale Hand legte das Telefon auf den Tisch zurück. Dann griff Judy zur Fernbedienung und regulierte die Lautstärke. Die Gruppe die im Moment spielte war einfach nicht zu ertragen. Die brachte weder Rock noch Techno rüber, da war einfach nur ein Sammelsurium aus Tönen und Geschrei.
Die Glotze ließ Judy an, als sie sich aus der weichen Kissenlandschaft erhob und quer durch den großen Wohnraum auf die offenstehende Tür zuschritt. Sie landete in der Diele, die ihre Eltern mit Stilmöbeln eingerichtet hatten. Judy mochte sie nicht. Sie würde sich eher Apfelsinenkisten als solch einen Kram in die eigene Bude stellen. Aber das war Sache ihrer Eltern.
Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Sie drückte sie auf. Das Licht brauchte Judy nicht einzuschalten. Wenn sie allein war ließ sie es immer brennen, auch in den oberen Räumen, wo sich die Schlafzimmer befanden, das Bad und die Dusche für die Kinder. Sie lag zwischen den beiden Zimmern.
Judy zog die Kühlschranktür auf. Eigentlich hatte sie ja Hunger. Sie schaute in die Fächer, entdeckte noch eine Pizza und überlegte, ob sie sie in die Mikrowelle schieben sollte.
Nein, sie hatte keinen Bock. Lieber wollte sie was trinken.
Aus der großen Flasche goß sie Wasser in ein Glas und veredelte es mit einem Schluck Weißwein. Den Apfel und das Glas nahm sie mit. Judy schlenderte aus der Küche.
Ein Geräusch war ihr dabei aufgefallen.
Nicht im Haus, sondern draußen. Zuerst kam sie damit nicht zurecht, lauschte aber weiter und stellte fest, daß dieses Geräusch von einem Wagen stammte, der mit laufendem Motor vor dem Haus stand.
Besuch?
Als Judy daran dachte, spürte sie ein Frösteln. Wer kam denn um diese Zeit noch? Höchstens ihr Bruder, aber der fuhr ja ein Motorrad.
Es kostete sie schon Überwindung, bis nahe an die Haustür heranzutreten. In der oberen Hälfte befand sich eine kleine Scheibe, durch die man hinausschauen konnte.
Da Judy ziemlich klein war, mußte sie sich schon recken, um durch die Scheibe blicken zu können.
Jemand huschte weg!
Das hatte sie genau erkannt, und sie wußte auch, daß es ein Mann gewesen war. Einer, der zur Haustür gelaufen war, dort irgend etwas getan hatte und nun nicht mehr zu sehen war.
Dafür bekam sie mit, wie der Wagen gestartet wurde und dann ziemlich schnell losfuhr.
Judy blieb vor der Tür stehen. Sie überlegte, was sie jetzt machen sollte.
Rausgehen, nachschauen? Das wäre am vernünftigsten gewesen, aber sie dachte auch darüber nach, was diese Person wohl vor dem Haus gewollt hatte.
Manchmal wurden irgendwelche Reklameblätter auf die Matte gelegt.
Nur kamen diese Boten meistens mit dem Rad und waren noch nicht erwachsen.
Hier stimmte etwas nicht.
Noch immer hielt sie das Glas mit der Schorle in der Hand, und jetzt trank sie einen Schluck, weil sie das rauhe Gefühl aus ihrer Kehle wegbekommen wollte. So ganz schaffte sie es nicht, es blieb sogar ein Kloß zurück. Wie vor bestimmten Klassenarbeiten. Judy ging noch zur Schule. Sie hatte sogar eine Ehrenrunde gedreht und machte das letzte Jahr zweimal.
Nicht daß sie sich allein im Haus gefürchtet hätte, das hätte sie niemals zugegeben, doch ein komisches Gefühl ließ sich nie unterdrücken. Und dieses Gefühl hatte sich jetzt gesteigert. Es war zu einer bohrenden Angst
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