0958 - Der Keller
schattenhaftes Ziel, das mir vorkam wie eine Mauer.
Und genau dort sahen wir auch den winzigen Lichtschein…
***
Die Flamme brannte weiter. Sie mußte einfach brennen, denn Vicky Meininger lag in ihrem halb zerstörten Sarg oder in der großen Kiste und wußte weder ein noch aus.
Sie war geschockt, entsetzt, sie war steif geworden, und sie nahm dieses furchtbare Bild wahr, das tatsächlich einem Bild aus dem Alptraum glich. Es war unwahrscheinlich, es war nicht zu glauben, denn es paßte in jeden Horrorfilm, aber nicht in die Wirklichkeit.
Das Holz war an der rechten Wand zusammengekracht. Und durch diese Lücke hatte sich das personifizierte Grauen geschoben. Ein Unmensch, eine Mischung aus Skelett und Mensch. Ein Monstrum, bei dem die Haut noch nicht ganz abgefallen war. Sie klebte noch an verschiedenen Stellen auf den Knochen. Sie überzog die Hände, aber sie war nicht mehr im Gesicht des Unwesens vorhanden.
Es bestand aus Knochen, die zum Teil gebrochen oder sogar gesplittert waren. Die Wangen waren durchlöchert. Die hohe Stirn, darüber die kahle Schädelplatte, die leeren Augenhöhlen, das alles bekam Vicky zu Gesicht, die einfach nicht in der Lage war, sich zu rühren. Völlig starr lag sie auf ihrem Platz.
Der Knöcherne war da. Sie sah ihn, aber der Schrecken steigerte sich bei ihr noch mehr, als dieses Wesen einen Arm ausstreckte und seine Hand auf ihren Oberschenkel legte.
Durch den Stoff hindurch spürte sie den Druck der Knochen. Diese Finger, die so schrecklich aussahen, weil eine dünne Haut sie überzog.
Gelblich braun. Wie gefärbter Zuckerguß.
Das Holz war nach innen gefallen. Die Splitter lagen auf Vickys Körper, aber das alles interessierte sie nicht. Sie sah die Fratze, und sie spürte den Druck der Klaue, der sich immer mehr verstärkte. Da verwandelten sich die Spitzen der Finger in Nägel, für die es kein Hindernis gab.
Sie durchstießen den Stoff, dann die Haut und drangen in das weiche Fleisch des Oberschenkels, wo sie Wunden hinterließen.
Blut quoll hervor. Es verteilte sich. Die junge Frau spürte den Schmerz, und in ihrer Panik dachte sie an Gisela Behle, die von dem Untier so furchtbar verletzt worden war.
Der andere Schmerz brannte in ihrem Daumen. Da sengte die Flamme das Fleisch an.
Sie verlosch.
Stockfinster wurde es um Vicky. Das Feuerzeug rutschte ihr aus der Hand, aber das letzte Bild, das sie gesehen hatte, war geblieben. Sie wußte, wer da die Wand durchbrochen hatte und sich an der Kiste zu schaffen machte. Sie sah das Wesen nicht, aber sie roch es, sie spürte es, denn es drückte aus unmittelbarer Nähe gegen sie.
Die zweite Klaue war plötzlich da.
Leise schrie die Frau auf, denn diese Finger wanderten über ihren Körper. Sie berührten ihre Brüste, sie näherten sich der Kehle, und als noch mehr Holz aus dem Verbund brach, da wußte Vicky auch, daß sich das Monstrum tiefer in die Kiste hineinwühlte, um sie zu zerstören.
Verzweiflung und Panik schössen in ihr hoch. Sie hatte plötzlich den Eindruck, fliegen zu können, aber sie blieb liegen und wurde zu einer Beute des Monstrums.
Der Stoff auf ihrer Brust riß. Der Modergestank erreichte ihre Nase. Sie spürte das Knochengestell auf sich, und es war dieser Druck, der bei ihr die Starre wegschaffte.
Plötzlich konnte Vicky schreien.
Und das tat sie!
***
Wir hörten die Schreie und wußten, daß wir uns auf dem richtigen Weg befanden. Sie erreichten uns von vorn, sie waren grauenhaft. In ihnen schwang eine Panik mit, wie sie nur von einem Menschen erlebt werden konnte, der sich in unmittelbarer Todesgefahr befand.
Wir hatten jetzt beide unsere Lampen eingeschaltet. Die Strahlen huschten und zuckten durch die Finsternis wie Blitze durch eine düstere Gewitterwolke, die nicht weichen wollte.
Wir hatten gesehen, daß dieser Keller etwas barg. Ob in seiner Mitte oder schon am Rand, das war nicht zu erkennen, aber dort stand etwas vor uns, und das grelle Licht erwischte diese Wand, die keine war, denn wir erkannten schon sehr bald, daß dort einige Kisten und Kartons aufgestapelt waren.
Unterschiedlich groß, unterschiedlich hoch, wie aus dem Baukastensystem.
Die Schreie waren nicht mehr so laut. Aber der Schrecken war geblieben.
Sie jammerten, dazwischen ein Röcheln. Es klang einfach grauenhaft, und als Harry plötzlich taumelte, dann fiel und fluchte, da wußte ich, daß der Boden wieder glatt geworden war. Harry rappelte sich auf. Er war jetzt hinter mir.
Ich lief weiter, bewegte dabei
Weitere Kostenlose Bücher