0960 - Aibons böse Diener
kämmte das spärliche Gras, und hoch über uns trieb er die Wolken in Richtung Südosten.
Das schmiedeeiserne Tor lag bereits in unserem Blickfeld, als etwas geschah, mit dem wir nie und nimmer gerechnet hatten. Suko und ich hatten es nicht gesehen. Es war Gordon Tarling, der hinter uns ging und einen ächzenden Laut ausstieß. Es hörte sich an, als wäre er zusammengebrochen, und sofort drehten wir uns um.
Tarling stand noch, drehte uns das Profil zu. Seinen rechten Arm hatte er halb erhoben und ausgestreckt. Er wies damit in eine bestimmte Richtung, wollte auch etwas sagen, aber über seine zitternden Lippen drang kein Wort, nur ein Keuchen, und das sagte eigentlich mehr als manche Worte.
Er hatte etwas gesehen.
Und wir sahen es auch.
Über den Friedhof hinweg, von uns aus gesehen in der entferntesten Ecke, bewegten sich vier Schatten. Schwarz und groß. Sie trugen sogar Hüte, aber sie waren Schatten, keine Menschen, auch wenn sie ihnen ähnelten.
Tarling fing an zu schluchzen. Er redete zugleich. Seine Worte waren schwer zu verstehen. Da er sie allerdings immer wiederholte, konnten wir auch hören, was er sagte.
»Das sind sie. Das sind meine Söhne…«
***
Suko und mir rann schon ein eisiger Schauer über den Rücken, da Tarling den Satz mit einer Bestimmtheit gesagt hatte, die keinen Widerspruch duldete. Er war davon überzeugt, in diesen ungewöhnlichen Wesen oder dunklen Luftspiegelungen seine Söhne zu erkennen, die sich lautlos über das Gräberfeld hinwegbewegten, ohne auch nur den Boden zu berühren.
Das sahen wir mittlerweile auch. Uns stockte der Atem. Aber die vier Gestalten waren noch zu weit entfernt, als daß sie uns gefährlich werden konnten. Es war nur ein unglaubliches Bild und eine Szene, an die wir uns erst gewöhnen mußten. Auf der einen Seite der düstere, schiefergraue Himmel, dann der Wind und die Totenruhe, die uns umgab.
Auf der anderen Seite die vier Schatten, die nicht nebeneinander hergingen, sondern sich hintereinander bewegten, wobei der größte die Spitze übernommen hatte, wie es zumindest mir erschien. Sie gingen nicht. Sie bewegten nicht ihre Beine, sie sahen aus, als ließen sie sich vom Wind über den Friedhof treiben.
Eine Erklärung gab es für Suko und mich nicht. Nur Gordon Tarling war der Meinung, seine Söhne zu sehen, und wir sprachen auch nicht dagegen, denn der Anblick hatte ihn schon geschockt.
Er schwankte. Eine Hand hielt er gegen seine linke Brustseite gepreßt.
Wie jemand mit Herzbeschwerden. Er war blaß geworden. Aus großen Augen starrte er auf die vier Schatten. Aus dem offenen Mund drangen ächzende Geräusche, und Suko ging blitzschnell auf ihn zu, um ihn abzustützen.
»Ich, ich kann nicht mehr. Ich muß mich setzen - bitte…«
Suko hielt ihn fest, als Tarling in die Knie sackte. Er nahm auf einem flachen Grabstein Platz, bleich im Gesicht, die Hände zusammengelegt wie jemand, der betet.
Wir kümmerten uns wieder um die vier Schatten. Sie waren erschienen, und das nicht ohne Grund. Sollten sie tatsächlich so etwas wie die Seelen der vier verstorbenen Tadings sein, dann konnte es durchaus sein, daß sie gekommen waren, um ihre eigene Gruft zu besuchen. Eine makabre Vorstellung, aber nicht unbedingt von der Hand zu weisen.
Obwohl wir Schatten vor uns hatten, wunderte ich mich über ihr Aussehen, denn alle vier sahen nicht nur gleich aus, sie trugen sogar die gleichen Hüte auf den Köpfen, die ihnen etwas Gangsterhaftes oder Mafiahaftes gaben.
Ihre Hände waren nicht zu sehen. Sie hatten sie in die Taschen gesteckt, aber sie bewegten sich mit einer Sicherheit, als würde der Friedhof ihnen gehören.
»Das ist ein Hammer«, flüsterte Suko. »Verdammt noch mal, John, verstehst du das?«
»Noch nicht.«
»Was tun wir?«
Ich holte zwar meine Beretta hervor, sagte aber: »Erst einmal abwarten, was sie vorhaben.«
»Das kann ich dir sagen. Wenn es tatsächlich die Tarlings sind, werden sie ihrem eigenen Grab einen Besuch abstatten. Vielleicht sollten wir ihnen entgegentreten.«
»Nein, nein!«
Uns taten die Schatten nichts. Sie wehten auch weiterhin über den alten Friedhof, und unsere Ohren erreichte kein einziges Geräusch. Sie waren still, und nicht das leiseste Schleifen ihrer Füße über den Untergrund war zu vernehmen.
»Wer oder was ist das?« flüsterte Suko. »Sind es die Seelen der vier Toten?«
»Nein.«
»Was glaubst du denn?«
»Es ist das, was die Aibon-Magie aus ihnen gemacht hat, denke ich. Ja,
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