0961 - Nähre deine Wut!
Was ich aus der Luft sehe, wenn ich darüberfliege, ist schrecklich. Zumindest kommt es mir manchmal schrecklich vor.« Wieder eine kleine Pause, dann mit leiser Stimme: »Ab und zu lache ich aber auch vor Freude. Ich bin entsetzt von mir! Ich weiß einfach nicht mehr, wie es weitergehen soll.« Und dann, noch leiser: »Am liebsten würde ich sterben.«
Rhett vereiste innerlich, als er das hörte. »Wenn du nicht willst, dass Zamorra dir hilft, warum bist du dann zum Château gekommen?«
»An schlechten Tagen wollte ich Rache am Professor nehmen. An guten habe ich gehofft, dass er mich als Gegner einschätzt und vernichtet. Hätte ich dich heute nicht gesehen, wäre ich sicher wieder nur Feuer speiend und wütend über dem Château gekreist. Aber dein Anblick hat mich zur Besinnung gebracht. Ich will leben, ich will die Dunkelheit loswerden. Deine Anwesenheit tut mir gut. Bitte, Rhett, du musst mir helfen!«
»Natürlich tun wir das«, sagte Rhett.
Anka nickte eifrig. »Trotzdem sollten wir Zamorra zuziehen. Wenn einer Erfahrung hat…«
»Nein!«, herrschte der Drache sie an. »Nicht Zamorra!«
»Na schön«, meinte der Erbfolger . »Du bist der Boss. Ich würde vorschlagen, wir schauen uns erst mal diese Dörfer in Schottland an, die du angeblich angesteckt hast. Vielleicht sehen wir dann etwas klarer, womit wir es überhaupt zu tun haben.«
Der Flug auf Foolys Rücken gehörte zum Seltsamsten, das Rhett je erlebt hatte. Er saß auf dem Drachenhals, Anka hinter ihm nur wenige Zentimeter vorm Flügelansatz. Er spürte das Spiel der Muskulatur unter der schuppigen Haut, als sich die Schwingen auf und ab bewegten. Dennoch bereitete es ihm keinerlei Probleme, sich festzuhalten. Er vermutete, dass Drachenmagie einen gehörigen Anteil daran trug.
Das Gleiche galt für ihre Geschwindigkeit. Rhett wusste nicht, wie weit genau es von Château Montagne zum Spooky Castle war, aber so um die 1400 oder 1500 Kilometer bestimmt. Wie lange benötigte ein Flugzeug für diese Strecke? Neunzig Minuten? Hundertzwanzig? Fooly Airlines hingegen brauchte nur schlappe dreißig!
Die Gegend unter ihnen raste nur so dahin. Eigentlich hätte alleine der Luftwiderstand Rhett und Anka vom Rücken des Drachen wehen müssen, aber nichts dergleichen geschah. Die Redewendung »Sicher wie in Abrahams Schoß« fand in »Geschützt wie auf Foolys Rücken« ernsthafte Konkurrenz.
»Seht runter«, sagte Fooly. »Da liegt eines der Dörfer.«
Einige Kilometer vor ihnen schimmerte eine Wasserfläche im Mondlicht. Loch Cluanie, vermutete Rhett. Bisher hatte er nicht gewusst, dass auf dieser Seite des Sees überhaupt Menschen lebten.
»Allzu viel kann ich nicht erkennen«, rief er.
Auf den Straßen brannten zwar vereinzelte Laternen, deren Licht reichte aber nicht aus, um Einzelheiten ausmachen zu können. Dazu flogen sie zu hoch.
»Geh noch ein bisschen runter«, schlug Rhett vor.
»Aber wenn uns jemand sieht?« Anka schien von dem Vorschlag nicht sehr begeistert.
»Da unten leben keine Menschen mehr«, entgegnete Fooly. »Nur noch Dämonen.«
Der Drache ging in den Sinkflug, aber mehr konnte man deshalb noch immer nicht erkennen. Hinter keinem Fenster brannte Licht, was aber wenig verwunderte, wenn tatsächlich nur noch Schwarzblütige das Dorf bewohnten.
»Verdammt, ich hab doch keinen Infrarotblick. Geh noch weiter runter!« Rhett begann sich allmählich zu fragen, was sie hier taten. Warum kurvte er über einem menschenleeren Kaff herum, anstatt sich mit Anka in einem finsteren, gemütlichen Eck zu verkriechen?
Weil Fooly dein Freund ist und Hilfe braucht , wies er sich zurecht.
Nicht nur hinter den Fenstern herrschte Dunkelheit, nun konnte er auch erkennen, wieso lediglich ein paar Laternen brannten: Alle anderen waren zerstört. Mit Steinen ausgeschossen oder gar aus dem Boden gerissen.
Er fühlte, wie sich Ankas Griff um seine Taille verstärkte.
»Alles klar da hinten?«
»Ja«, lautete die einsilbige Antwort.
»Dann krall dich gefälligst nicht so fest!«
Fooly flog über einen freien Platz und erstmals sahen sie… ja, was? Im trüben Schein der wenigen Laternen wirkten sie auf den ersten Blick wie Menschen, nein: wie Greise. Doch dann sah einer zu ihnen herauf und aus seinem Mund schoss ein langer Tentakel. Der Drache konnte im letzten Augenblick ausweichen.
»Pass doch auf, Mann! Wenn du solche wilden Schlenker machst, kann ich mich nicht festhalten.«
»Das musst du auch nicht«, erinnerte Fooly ihn. »Meine
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