0965 - Der Killerbaum
kurzen Blick zu. »Du wirst es mir ja gleich beweisen.«
»Sicher, sicher, das werde ich.« Malcolm nickte heftig. »Dann ist da noch der Baum. Den mußt du kennen. Es ist doch nicht natürlich, daß Wurzelwerk über dem Erdboden wächst.«
»Ja, das stimmt.«
»Eben.« Es gefiel Lindner nicht, daß Hastings schwieg. Er beobachtete ihn mißtrauisch von der Seite her, aber seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er dachte. Er blieb ruhig und gelassen, während seine kräftigen Hände das Lenkrad hart umklammert hielten, denn der Weg war doch ziemlich uneben. Sie würden so weit wie möglich fahren und den Rest der Strecke zu Fuß zurücklegen.
Noch rollten sie durch den lichten Teil des Waldes. Feldwege durchkreuzten ihn. Sie waren wichtig, denn hier wurde Holz geschlagen und mußte abtransportiert werden. Noch war das Gelände flach. Erst weiter im Süden begann eine Hügelkette, hinter der das Gelände bis zur Küste sanft abfiel.
Durch seine Spaziergänge kannte sich der Rentner gut aus. Er wußte, wo der beste Platz für einen Stopp war. Neben einer Hütte, die den Waldarbeitern als Unterschlupf diente. Dort endeten auch die normalen Wege, denn hinter der Hütte wurde es dicht.
Von den Arbeitern war um diese Zeit niemand zu sehen. Sie hatten längst Feierabend gemacht. Der Förster stoppte neben mehreren aufeinander liegenden Baumstämmen. Er stieg aus. Das Gewehr hängte er über seine rechte Schulter.
»So, jetzt darfst du mich führen, Malcolm.«
»Glaubst du mir denn?«
Hastings lächelte. »Geh schon.«
»Okay.« Lindner ärgerte sich über seine eigene Nervosität, aber er konnte nichts dagegen tun. Die Entdeckung der Toten und vor allen Dingen, wie das alles geschehen war, konnte er als Erinnerung nicht so einfach abschütteln. Das kam immer wieder hoch.
Farne und hohes Gras umspielten ihre Beine, als sie sich einen Weg durch den stillen Wald bahnten. »Hörst du, Jerome, selbst die Vögel singen nicht mehr.«
»Das kann andere Gründe haben.«
Lindner warf dem Förster einen schiefen Blick zu und verzog dabei den Mund. »Du glaubst mir nicht.«
»Das habe ich nicht gesagt. Sonst wäre ich auch nicht mit dir gefahren, mein Lieber.«
»Ich spüre es.«
»Unsinn, geh weiter.«
Die Gegend war dem Rentner zwar nicht ganz unbekannt, aber so gut wie auf seinem Spazierweg kam er hier nicht zurecht, und er mußte sich schon des öfteren umschauen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Es wollte ihm zudem nicht in den Kopf, daß der Förster den seltsamen Baum nicht kannte. In seinem Revier durfte es doch nichts geben, was ihm nicht bekannt war. Aber das war nicht das Problem des Rentners.
Zunächst mußte er beweisen, daß er sich nichts eingebildet hatte. Er konnte sich auch nicht vorstellen, daß die Tote inzwischen von jemandem abgeholt oder weggeschafft worden war.
»Müssen wir noch lange gehen, Malcolm?«
»Nein, nein…«
»Ich habe nämlich zu tun…«
»Das wirst du bald vergessen können.«
»Ich bin gespannt.«
Lindner blieb noch einmal stehen. Er überlegte und wich dabei dem Blick des Försters aus. Dann hatte er die exakte Richtung gefunden. Mit der ausgestreckten Hand deutete er nach rechts. »Da müssen wir hin.«
»Dann geh vor.«
Malcolm hatte sich nicht geirrt. Es war genau der Weg, um die Lichtung zu erreichen. Der seltsame Baum war so klein, daß er von den anderen überragt wurde und nicht so leicht entdeckt werden konnte. Das sperrige Unterholz kannte er, umging es und sah die Lichtung vor sich liegen.
Er blieb stehen. Der Förster hatte noch mit dem Widerstand des Unterholzes zu kämpfen. Als er den Rentner erreichte, deutete der bereits nach vorn.
»Da ist es.«
»Gut, gehen wir hin.« Jeromes Stimme klang leicht kratzig, denn auch er hatte bereits den hellen »Gegenstand« erkannt, der auf der kleinen Lichtung lag. Ob es sich allerdings um den Körper einer Frau handelte, war noch nicht zu erkennen. Er dachte auch daran, daß Lindner eventuell auf eine Puppe hereingefallen war. Unmöglich war nichts, denn es gab leider noch immer Menschen, die den Wald mit einer Müllhalde verwechselten. Da hatte der Förster schon böse Erfahrungen machen müssen.
Sie gingen näher. Diesmal blieb Hastings an der Seite des Rentners, aus dessen Mund der schwere Atem drang. Auf seinem Gesicht lag eine Gänsehaut, die Flügel seiner leicht gebogenen Nase vibrierten, und er strich des öfteren über sein Gesicht.
Sekunden später sah auch er den Körper. Er lag starr vor ihm.
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