0965 - Der Killerbaum
auf dem Boden wuchs? So etwas wäre ein naturwissenschaftliches Phänomen.«
Lindner senkte seine Stimme. Sie klang dabei deprimiert. »Die Beweise«, murmelte er, »ja, daran habe ich jetzt auch gedacht. Aber ich hatte dich in meine Rechnung mit einbezogen. Du hättest ihnen doch sagen können, daß der Baum hier gestanden hat.«
»Wieso ich? Ich habe ihn nicht gesehen. Ich habe zumindest nicht darauf geachtet, Malcolm.«
»Kennst du diesen Ort denn hier nicht?«
»Natürlich kenne ich ihn.«
»Und den Baum nicht?« staunte Malcolm.
»Nein, ich habe ihn nie gesehen. Und er wäre mir aufgefallen, so wie du ihn mir beschrieben hast.«
Lindner stieß laut die Luft aus. »Dann, dann begreife ich gar nichts mehr. Tut mir leid. Ich weiß nichts. Es ist alles vorbei. Ich kenne mich nicht mehr aus, ehrlich…«
»Was soll ich dazu sagen?«
»Kann denn ein Baum einfach weglaufen, Jerome?«
»Unsinn!«
»Dann hat er sich in Luft aufgelöst. Puff - einfach so. Weg war er.«
»Und vorher ist er vom Himmel gefallen und hat sich hier auf die Lichtung gestellt, wie?«
»Ach, leck mich doch…«
»Bitte, Malcolm, ich verstehe deine Reaktion. Aber denk daran, wer vor uns liegt. Eine Leiche, eine junge Frau. Wir sollten doch mehr Respekt vor dem Tod haben.«
Lindner schnaubte in sein großes Taschentuch. »Du hast recht, Jerome, sorry, aber es war einfach zu viel für mich. Ich bin auch nur ein Mensch.«
»Gut, dann informieren wir jetzt die Polizei und gehen zum Wagen zurück. Von dort aus führen wir die Leute an den Tatort. Sollen die sich darüber den Kopf zerbrechen.«
Malcolm Lindner schaute zu, wie der Förster sein Handy aus der Innentasche zog und wenig später bereits Verbindung bekommen hatte.
Er wußte, daß der Mann ihm nicht glaubte, aber was er gesehen hatte, das hatte er gesehen. Schließlich gehörte er nicht in eine geschlossene Klinik. Er hatte sich diesen Baum nicht eingebildet. Mochte Hastings auch noch so tun, als wäre der Fall für ihn vorbei, für Malcolm Lindner war er es nicht. Er sah noch einige böse Tage und Nächte auf sich zukommen, denn dieser verschwundene Baum war etwas Besonderes, sogar etwas Teuflisches, das stand für ihn fest. Er und andere würden noch von ihm hören, ganz bestimmt sogar.
Der Förster hatte sein Handy wieder verschwinden lassen. »Gehen wir?« fragte er, ohne noch einen letzten Blick auf die Leiche zu werfen.
Das tat Malcolm Lindner, als wollte er von der Toten, die ihm irgendwie schon vertraut geworden war, Abschied nehmen. »Ja, laß uns gehen. Es ist besser so…«
***
Wir waren durch Duncton gefahren und hatten einen Ort kennengelernt, in dem das Alte noch vorhanden war, ohne dem Neuen Platz schaffen zu müssen, denn am Rand des Dorfes waren die neuen Häuser errichtet worden, wo sie nicht störten. Eine kleine Siedlung war dort entstanden.
Bei klarem Wetter konnte man den Wald und dahinter die Berge erkennen. Und gutes Wetter hatten wir an diesem Tag. Es schien sogar die Sonne, auch wenn der Himmel an einigen Stellen mit dicken, weißen Wolken besetzt war. Allerdings gab es genügend große Lücken, durch die das Blau schimmerte und die Sonne ihre Strahlen schicken konnte.
Wunderschönes Frühlingswetter, das die Laune der Menschen ansteigen ließ, bei uns jedoch nicht. Es hatte zwei rätselhafte Leichen gegeben, und deren Herkunft mußten wir klären.
Den Anfang wollten wir bei einem Mann namens Rocco Wilde und seinen Tänzerinnen finden. Wir hatten uns erkundigt und erfahren, daß die beiden großen Wohnmobile auf dem Campingplatz standen, der um diese Jahreszeit noch recht leer war, wie wir selbst feststellen konnten, als wir auf das Gelände einbogen.
Die beiden großen Wohnmobile waren nicht zu übersehen. Sie standen dort, wo es auch die Anschlüsse für Strom und Gas gab. Ein Restaurant im Blockhausstil war geöffnet, und auf der Terrasse unter dem Vordach saßen die Mädchen, ließen sich von der Sonne bescheinen, tranken oder aßen eine Kleinigkeit, denn es war Mittagszeit. Bedient wurden sie von einem jungen Mann mit roten Haaren und Punkerschnitt. Das war bestimmt nicht Rocco Wilde.
Neben der linken Terassenseite hielt ich den Rover an. Unter den neugierigen Blicken der Mädchen stiegen wir aus, schauten uns noch einmal um, aber auch an der gegenüberliegenden Seite, wo Bäume wie ein Wall wuchsen, war niemand zu sehen, auf den wir getippt hätten. Ein älterer Mann war dabei, mit einem Schrubber die Außenhaut seines Wohnwagens zu
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