0966 - Die Angst der Psychonautin
ein Rätsel. Wir hofften nur, von ihr Auskunft zu bekommen.
»Schaffst du es, John?«
»Ja, das klappt.« Ich mußte den Stift noch zweimal drehen, dann war die Frau frei.
Sie wäre zusammengesackt, hätte ich nicht zugegriffen und sie abgefangen.
Fix und fertig lag sie in meinen Armen. Ihr Gesicht war mir zugewandt.
Ich schaute gegen die Stirn, wo der Abdruck des dritten Auges verblaßt war.
Wie ein Kind nahm ich die Unbekannte auf die Arme und trug sie aus der Nische hervor. Neben Suko blieb ich stehen. Mein Freund hatte bereits seine Jacke ausgezogen. Wir streiften sie der Frau über, und mit seiner Lampe deutete Suko nach vorn. »Ich schlage vor, daß wir sie an Deck bringen. Vielleicht finden wir noch Kleidung und…«
Er sprach nicht mehr weiter, weil die Frau etwas in seine Worte hineingeflüstert hatte.
Gespannt hörten wir zu. Ich konzentrierte mich auf ihre Lippen. Sie bewegten sich nicht mehr.
Suko hob die Schultern. »Also nach oben.«
»Ja.«
Mein Freund ging wieder vor. Ich trug auch weiterhin die junge Frau, die einen Arm angehoben hatte und meinen Nacken umklammerte. Instinktiv spürte sie, daß wir es gut mit ihr gemeint hatten und nicht zu ihren Peinigern gehörten.
Der Bauch des Schiffes erinnerte mich an ein großes, aber leeres Gefängnis.
Ich mochte ihn nicht. Ich war froh, wenn ich ihn verlassen konnte.
Das Glück blieb uns auch weiterhin treu. Niemand kam uns entgegen, um uns mit Gewalt aufzuhalten. Sukos Vorsprung hatte sich vergrößert.
Er öffnete den Durchgang zum Oberdeck hin, schaute kurz, dann drehte er sich wieder um und winkte mir beruhigend zu.
Ich spürte schon das Gewicht der Frau. Auch deshalb, weil ich mit ihr die Treppe hochstieg. Suko nahm sie mir schließlich ab, was mich freute.
Sie brauchte bestimmt etwas zu trinken. Durst quält einen Menschen ja stärker als Hunger. Zwar kannten wir uns auf dem Schiff nicht gut aus, aber die Unterkünfte fanden wir trotzdem und auch die Kabine des Kapitäns, die nicht abgeschlossen war.
Ich betrat sie als erster, schaltete das Licht ein und war zufrieden.
Erstens, weil sie leer war und zweitens, weil ich die Liege sah, die an einer Wand stand. Es sah zwar alles billig aus, es war auch ziemlich schmutzig, aber die Liege war für die junge Frau Gold wert.
Ich öffnete die Türen eines Einbauschranks und hatte wieder Glück, denn dort hingen einige Kleidungsstücke. Zwar gehörten sie einem Mann, das aber machte nichts. Das Hemd würde reichen, und die dunkelblaue Hose auch, denn der Kapitän gehörte nicht eben zu den großen Menschen.
Die Unbekannte sprach nicht. Sie schaute uns nur zu, und ich fand sogar Segeltuchschuhe, die ihr einigermaßen passen konnten. Als ich ihr die Kleidung reichte, lächelte sie, aber Suko mußte ihr schon beim Anziehen helfen, weil sie so schwach war.
Noch war diese Person ein Rätsel, aber wir hatten eine Spur. Ich hätte es für möglich gehalten, daß sie uns zu den Psychonauten führen würde.
Aber ich wußte auch, daß wir erst den Beginn des Fadens in der Hand hielten. Wenn wir die Rolle aufrollten, konnte es noch überraschend und bitter werden.
In einem Nebenraum, er diente als Kombüse und Abstellkammer, entdeckte ich einige Flaschen Wein. Wasser wäre für einen erschöpften Menschen jetzt besser gewesen, aber immerhin war es Flüssigkeit. Ein sauberes Glas war nicht zu finden. Es war keine Zeit zu vergeuden. Mit einem Korkenzieher öffnete ich die Flasche und kehrte wieder in den größeren Raum zurück, wo Suko mit der inzwischen angezogenen Frau auf der Couch saß.
Ihre Augen waren sehr dunkel. Mittlerweise hatte sich auch die Angst aus ihnen verflüchtigt und einer gewissen Neugierde Platz geschaffen.
Suko schaute verwundert auf die Weinflasche. »Ob Wein das Richtige ist?«
»Ein Schluck kann nicht schaden.«
Etwas mißtrauisch blickte mich die Frau an, als ich ihr die Flasche reichte. Zögernd nahm sie sie entgegen. Sie legte beide Hände darum und setzte die Öffnung an die Lippen. Zuviel wollte ich sie nicht trinken lassen, was sie auch von allein nicht tat. Bald schon setzte sie die Flasche ab.
»Danke«, sagte sie.
Ich war überrascht. Sie konnte in unserer Sprache reden. Das erleichterte den Gedankenaustausch.
Nachdem ich die Flasche wieder weggestellt hatte, hörten wir die Frau hüsteln. Suko und ich wollten nichts überstürzen. Sie mußte erst zur Ruhe kommen, und sie schaute sich auch die aufgescheuerten und geschwollenen Handgelenke an. Da hatte das
Weitere Kostenlose Bücher