0967 - Geister aus der Zukunft
du denn versucht, Dagmar, auf deine Art und Weise den Kontakt zu halten? Über das dritte Auge?«
»Ja, das habe ich.«
»Und?«
Sie hob die Schultern. »Es ist wirklich schwer zu sagen, Harry, aber dieser Kontakt war mehr als schwach. Als würde er sich immer weiter entfernen.«
»Dafür muß es doch Gründe geben.«
»Bestimmt.«
»Glaubst du, daß sich Ramona in Gefahr befindet?«
»Kann sein. Es gibt noch eine andere Möglichkeit. Sie kann durchaus die Gefahr bemerkt und sich deshalb abgesetzt haben. Jedenfalls müssen wir sie finden, bevor es die anderen tun, und die kennen kein Erbarmen.«
»Ja, die anderen«, murmelte Harry. »Es gibt sie, das steht fest. Trotzdem begreife ich es nicht. Ich komme damit nicht zurecht, wenn ich ehrlich sein soll. Ich weiß nicht, weshalb man euch jagt. Was habt ihr getan, um von Killern verfolgt zu werden?«
»Da gibt es etwas«, sagte sie.
»Das dritte Auge?«
»Nicht unbedingt«, gab Dagmar zu.
»Sondern?«
Sie griff über den Tisch nach Harrys Hand. »Sei mir bitte nicht böse, aber damit möchte ich dich nicht belasten.«
Zwar spürte Harry die Wärme der anderen Haut, aber er war schon leicht sauer.
»Das hört sich so an, als würdest du mir nicht vertrauen. Aber denk daran, Dagmar, wir beide arbeiten zusammen, wobei ich noch immer nicht weiß, ob es Zufall ist oder gesteuert wird. Ich will darüber nicht nachdenken, aber ein Graben sollte sich trotzdem zwischen uns nicht auf tun.«
»Der existiert nicht, Harry. Ich möchte dich mit diesem Problem wirklich nicht belasten. Das ist besser so.« Sie lächelte wieder. »Es wird unserer gemeinsamen Aufgabe keinen Abbruch tun, das kannst du mir glauben.«
»Einfach machst du es mir nicht, Dagmar.«
»Ich weiß.«
»Was sagen die Bosse über uns? Wir verhalten sie sich?«
»Man läßt uns arbeiten. Ich habe mich um den Job bemüht, was gar nicht so schwer war, denn ich kannte die tote Estelle ja.«
Harrys Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. »Wenn das so ist, Dagmar, und wenn du Ramona nicht mehr erreicht hast, könnte es sein, daß Estelle und sie vielleicht Verbindung miteinander aufgenommen haben? Es ist nur eine Vermutung, aber so weit möchte ich sie nicht von mir weisen.«
»Das kann durchaus sein.«
»Was würde das bedeuten?«
»Wir wollen Ramonas Tod nicht annehmen, sondern optimistisch denken.«
»Nicht nur denken, sondern handeln.«
»Richtig.«
»Und wie sieht das aus?«
Dagmar Hansen lächelte. »Keine Sorge, Harry, diesmal werde ich vorgehen.«
»Nach London?« Er war neugierig. »Das schließe ich nicht aus…«
***
Shao war in die Küche gegangen. Aber nicht nur, um sich ein Glas Mineralwasser zu holen, sie wollte auch für einen Moment allein mit sich und ihren Gedanken sein. Zudem fühlte sie sich schon ein wenig überfordert. Sie brauchte Zeit, um gewisse Dinge in die Reihe zu bringen.
Shao schaute dem aus dem Flaschenhals rinnenden Wasser zu, wie es sich im Glas verteilte. Ihre Gedanken drehte sich nicht um Thamar, sondern befaßten sich mit dem was sie getan hatte.
Es ging um Mord!
Vierfacher Mord!
Nicht direkt, sondern indirekt. Über den Computer und gekoppelt mit der Kraft des dritten Auges. Bei diesem Vorgang hatte sie das Gefühl gehabt, in eine völlig andere Dimension einzusteigen. In ein magisches Machtgefüge, mit dem sie nicht zurechtkam.
Sie drehte den Verschluß wieder zu und stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. Auch für Thamar hatte sie Wasser eingeschenkt. Beide Gläser hob sie vorsichtig an, denn sie waren ziemlich voll geworden.
Auf dem Weg in den Wohnraum blieben Shaos Gedanken bei diesem Thema. Sie war ehrlich genug, um sich einzugestehen, daß sie allein nicht mehr zurechtkam. Diesen Fall konnte sie unmöglich als Einzelperson lösen, da brauchte sie schon Hilfe. Die gaben ihr eben Suko oder sein Freund John Sinclair.
Thamar saß nicht mehr vor dem Computer. Der Bildschirm war dunkel wie ein graues Fenster bei Nacht, das einem Betrachter keinen Durchblick erlaubte.
Beide Frauen schwiegen. Shao nahm in einem Sessel Platz. Sie konnte Thamar direkt anschauen, auf deren Stirn sich kein drittes Auge mehr zeigte. Es war verglüht. Vor Shao saß eine zierliche Frau, die fast zerbrechlich wirkte. Ein Teil der dunklen Haare war ihr wie ein Vorhang vor das Gesicht gerutscht und berührte als Schleier die Wangen. Thamar schaute auf die Knie. Sie wirkte sehr angestrengt und zugleich auch in sich versunken.
»Du solltest einen Schluck
Weitere Kostenlose Bücher