0967 - Geister aus der Zukunft
plötzlich Gebilde, die Shao in keinem ihrer Programme und in keiner Diskette gespeichert hatte.
Blitze huschten von oben nach unten und von links nach rechts über das Viereck. Manche hell, andere farbig. Das Bild erinnerte an ein elektronisches Wirrwarr, aber Thamar entdeckte darin ein System, denn sie nickte einige Male.
»Der Kontakt ist da!« flüsterte sie.
»Und? Sind sie schon tot?«
»Noch nicht. Der Satellit wurde von mir angezapft. Er wird jetzt seine Befehle weitergeben.«
»Wie lange haben die Männer noch zu leben?«
Das Auge auf dem Monitor schimmerte wieder heller. Als hätte es einen Energiestoß bekommen.
Noch war Zeit.
Shao konnte es nicht zulassen. »Bitte, Thamar, überleg es dir. Tu es nicht! Ich bitte dich. Man kann sie auch anders bestrafen.«
Sie ging nicht auf den Einwand ein. »Ich habe Kontakt«, flüsterte sie, »und auch der Satellit wird Kontakt mit den Empfängern bekommen.«
Ihre Stimme senkte sich. »Sie haben keine Chance. Nicht die geringste.«
Genau diese Worte waren für Shao das Startsignal. Sie konnte einfach nicht länger zuschauen, auch wenn sie die Morde indirekt nicht mitbekam. Aber ihr Gewissen ließ sich nicht abstellen.
Ein kurzer Schritt brachte Shao direkt hinter Thamar. Sie wollte den Kontakt zwischen ihr und dem Monitor unterbinden, deshalb griff sie mit beiden Händen zu. Wie Klauen preßte sie ihre Finger auf die Schultern der anderen.
Shao schrie auf!
Sie hatte das Gefühl, von einem Funkensturm umgeben zu sein. Etwas schlug unbarmherzig durch ihren Körper wie eine mörderische Peitsche.
Sie schaffte es nicht, ruhig stehen zu bleiben. Shao zitterte. Sie wollte sich wegdrehen und mußte feststellen, daß sie den Kontakt schon lange verloren hatte. Es war ihr nicht bewußt geworden, daß sie rücklings auf dem Teppich lag und dicht neben ihrem Gesicht die Beine des Sessels sah.
Sie lag da und war gelähmt. Nicht mal den kleinen Finger konnte sie bewegen. Die Augen blickten starr zur Decke, aber ihr Gedankenapparat funktionierte noch.
Jetzt sind sie tot! Jetzt sind sie tot! Wie auch immer. Ich habe verloren!
Allmählich ebbten die rätselhaften Energieladungen in ihrem Innern ab.
Sie merkte, daß sie sich wieder aufrichten konnte, aber aus eigener Kraft fiel es ihr schwer. Mühsam wälzte sie sich auf die Seite, um sofort danach zu erschlaffen.
»Laß es sein, Shao«, hörte sie Thamars Stimme und wenig später ihre leisen Schritte.
Da war die Fremde bei ihr und bückte sich. Aber sie hob Shao nicht an, sondern strich mit ihren Händen über deren Stirn. Das dritte Auge schwebte dabei wie ein allmählich verblassendes Omen über Shaos Kopf.
»Jetzt kannst du aufstehen!«
»Ja«, murmelte die Chinesin. Sie kam auf die Füße, als wäre nichts zuvor geschehen.
Beide Frauen schauten sich nur an.
***
Die Zunge war wieder zurück in den Mund des Farbigen geschnellt, aber Chris Baker schrie noch immer. Er war gefangen in einem Strom aus Schmerzen. Wir, die Zuschauer, Suko, der Anwalt Walbrook, Vincent Crenna und ich, wir alle konnten dem Mann nicht helfen. Es war ja auch niemand zu sehen gewesen, der ihm die Schmerzen hätte zugefügt haben können.
Sein Schreien war schlimm. Urplötzlich brach es ab. Von einem Augenblick zum anderen fiel der Agent der NSG zu Boden und blieb starr liegen.
Tot?
Ich wollte hin, Suko ebenfalls. Der Anwalt Walbrook stand da wie angegossen, bleich im Gesicht, schweißbedeckt und leicht keuchend. Er sah aus wie jemand, der damit rechnet, als nächster erwischt zu werden, aber keinen von uns traf es.
Wohl aber die anderen drei Agenten. Baker hatte geschrien, als es ihm an den Kragen ging. Seine Leute starben ebenfalls, nur auf eine andere und vielleicht noch grauenhaftere Weise, denn sie vergingen im Sitzen, und kein Laut drang über ihre Lippen. Sie veränderten kaum ihre Haltung. Ein kurzes Zucken, verbunden mit einer Verzerrung ihrer Gesichter, als spürten sie einen bösen Schmerz, und plötzlich wurden ihre Gestalten schlaff. Es gab nichts mehr, was sie hielt.
Einer rutschte vor, aber er fiel nicht. Die beiden anderen waren zur Seite gekippt, als hätten sie den Anweisungen eines Regisseurs gehorcht. Der eine nach rechts, der andere nach links.
Stille. Es war vorbei - unglaublich…
Ich fand mich neben Baker knieend wieder, ohne richtig zu wissen, wie ich dorthin gekommen war. Ich fühlte schon mit den routinierten Bewegungen eines Arztes nach und mußte feststellen, daß diesem Menschen nicht mehr zu helfen
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