097 - Die Todestür
abreißen.
Mit der Eisenbahn gelangten Coco und ich am Mittwoch nach Wales, wo Schloß Drake in den Hängen der Cambrian Mountains am Ufer des Severn stand. Es war in den letzten vierundzwanzig Stunden immer kälter geworden, und am Mittwochmorgen hatte es zu schneien begonnen. Den ganzen Tag schneite es.
Unterhalb des auf Bergeshöhe gelegenen Schlosses gab es einen kleinen Ort - Dunnegan. Ein Taxi brachte uns dorthin, denn Dunnegan hatte keinen Bahnhof. In dem Ort gab es einen einzigen Pub, in dem wir für die Nacht unterkamen.
Während Coco sich oben in einem kleinen Zimmer mit schrägen Wänden aufhielt, setzte ich mich in die Gaststube zu den Einheimischen. Die meisten arbeiteten im Kohlebergwerk. Das Bergwerk warf nicht sehr viel ab, aber die Waliser waren ein zäher und genügsamer Menschenschlag. Ein junger Bursche spielte Akkordeon, und ein paar Männer vergnügten sich beim Pfeilwurfspiel. Die meisten aber saßen da, sogen an ihren Pfeifen und tranken ab und zu einen Schluck von dem dunklen Ale. Ich brachte das Gespräch auf Schloß Drake. Sofort wurden die Gesichter der Männer verschlossen. „Sind Sie etwa deshalb hergekommen, Fremder?" fragte ein älterer Mann mit zerfurchtem Gesicht in einem schwer verständlichem Dialekt.
„Ich bin Journalist", sagte ich. „Ich soll eine Reportage über Spukschlösser schreiben."
„Dann haben Sie in Schloß Drake ein dankbares Objekt gefunden, wenn Sie am Leben bleiben und Ihre Erfahrungen zu Papier bringen können", sagte der Waliser. „Niemand lebt dort, nur ein alter Verwalter, ein Sonderling. Ihn verschont der Höllenspuk. Aber ich würde um nichts in der Welt über Nacht dort bleiben."
„Was gibt es denn da Besonderes?" fragte ich.
Der Waliser wollte nicht reden; und auch aus den anderen war nichts herauszubekommen.
Ich ging schließlich gegen elf Uhr hinauf aufs Zimmer, das noch mit einem Kohleofen beheizt wurde. Als wir im Bett lagen, sprach ich mit Coco. Wir machten uns beide große Sorgen wegen unseres Sohnes. Luguri hatte nun schon fünf Tage Zeit gehabt, und wir wußten noch nicht einmal genau, wie wir gegen ihn vorgehen sollten.
Coco schlief schließlich in meinen Armen ein, aber ich lag noch eine Weile wach.
Der Ys-Spiegel, den ich an einer Kette um den Hals trug, drückte mich. Der Ys-Spiegel symbolisierte die Entfremdung, die zwischen mir und Coco eingetreten war. Selbst jetzt, wo wir so nahe beisammen waren, klaffte eine Kluft zwischen uns. Ich hatte Ziele, die weit über die Rettung der dreizehn Kinder und die unseres Sohnes hinausgingen. Eigentlich hielt mich die ganze Sache hier nur auf.
Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. So hätte ich das früher nicht gesehen. Es war einer der wenigen Augenblicke, in denen ich erkannte, daß wirklich eine große Veränderung mit mir vorgegangen war.
Am Morgen stiegen wir schon zeitig den Schloßberg hinauf. Schloß Drake war ein großes düsteres Gebäude. Es hatte viele Türme und Türmchen und hohe Fenster und Erker auf den Dächern. Drei rechteckig aneinandergebaute Trakte umgaben den Innenhof. Vorn schloß eine wuchtige Mauer mit einem großen Tor und zwei Türmen den Schloßhof ab.
Der Wind pfiff, als wir vordem Tor standen. Immer noch schneite es ein wenig. Ein paar Raben flogen krächzend über unsere Köpfe hinweg.
Ich schlug mit dem schweren, eisernen Türklopfer gegen das Schloßtor. Dumpf hallten die Schläge. Wieder und wieder mußte ich klopfen. Dann endlich polterte es, als der massive Torbalken weggenommen wurde. Ein Torflügel wurde geöffnet.
Der Verwalter war groß und hager und mit einem schwarzen Umhang bekleidet. Er musterte uns schweigend.
„Wir interessieren uns für das Schloß", sagte ich.
Er trat zur Seite und machte eine einladende Handbewegung. „Tretet ein! Gäste sind auf Schloß Drake immer willkommen."
Ich warf Coco einen kurzen Blick zu, dann traten wir durchs Tor. Wenn der Verwalter uns freiwillig einließ, konnte Coco sich die Hypnose sparen.
Ich trug einen Handkoffer mit Kleidungs- und Wäschestücken und einen zweiten mit den Utensilien, die wir zur Dämonenbekämpfung verwenden wollten.
Der Schloßverwalter führte uns in die Ahnengalerie. Der Raum war riesig und ziemlich kalt, obwohl zwei Kaminfeuer brannten. Er war aber sauber. An den Wänden hingen rissige Ölgemälde, alte Waffen, Schwerter, Hellebarden und Musketen. Ein paar Harnische standen herum, und es gab eine lange Tafel.
„Das ist der Raum für offizielle Anlässe", sagte der
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