097 - Die Todestür
Schloßverwalter. „Wollen Sie länger hierbleiben?"
Der hagere Mann hatte keine dämonische Ausstrahlung.
„Das kommt darauf an", sagte ich. „Wir sind etwas in der Geschichte dieses Schlosses bewandert und wissen, daß es hier eine Geheimtür mit einem Türklopfer in Form eines Löwenkopfes gibt. Wissen Sie, wo diese Tür ist?"
Der Verwalter sprach keinen walisischen Dialekt, sondern redete wie ein gebildeter Mann.
„Nein", sagte er, „aber wenn Sie suchen wollen, suchen Sie nur! Die Familie, der das Schloß gehört, will nichts davon wissen. So lebe ich allein hier, und ich habe nichts dagegen, ein wenig Gesellschaft zu bekommen."
Irrte ich mich, oder sah ich seine Augen höhnisch aufblitzen?
„Nun gut", sagte ich. „Kennen Sie vielleicht das da?"
Ich griff unter den Rollkragenpullover, den ich unter dem Mantel und der Jacke trug, und holte die gnostische Gemme hervor, die an einem Lederband um meinen Hals hing. Den Ys-Spiegel hatte ich in der Jackentasche. Die gnostische Gemme, aus Lapislazuli gefertigt, zeigte einen Abraxas, einen Krieger mit einem Hahnenkopf und Schlangenbeinen.
Ich ließ die Gemme vor den Augen des Verwalters baumeln, der neugierig draufstarrte. Wenige Augenblicke später hatte ich ihn hypnotisiert. Über dämonische Fähigkeiten verfügte ich nicht, aber ich hatte mir einige Kenntnisse der Weißen Magie angeeignet und kannte mich theoretisch auch in der Schwarzen Magie aus. Mit einer gnostischen Gemme als Hilfsmittel war ich ein sehr guter Hypnotiseur.
„Dein Name?" fragte ich den Schloßverwalter.
„Anthony Trelawney."
„Weshalb bist du hier, Anthony Trelawney?"
Er wollte zuerst nicht antworten, aber ich zwang ihn dazu; er stand in meinem hypnotischen Bann und mußte gehorchen.
„Ich muß hier sein", sagte er mit dumpfer, monotoner Stimme. „Die Gebeine zweier meiner Vorfahren sind in den Fundamenten eingemauert, und ihre Geister rufen mich. Sie sind untrennbar mit dem Schloß verbunden, und ich, der ich von ihnen abstamme, auch. Vor mir war ein anderer hier, und nach mir wird wieder ein anderer kommen, bis Schloß Drake zur Ruine geworden ist."
Trelawney war ein Sklave der bösen Mächte, die es auf Schloß Drake gab.
„Was geschieht hier?" fragte ich weiter.
Aber darauf gab er keine Antwort, was immer ich auch versuchte. Er sagte auch nicht, wo sich die Tür mit dem Löwenkopftürklopfer befand. Etwas lähmte seine Zunge. Ich befahl ihm, uns nach Kräften zu helfen und uns vor allem keine Schwierigkeiten zu machen. Dann weckte ich ihn mit einem Fingerschnippen aus der Hypnose.
Coco und ich suchten einen der Räume im linken Seitentrakt auf, die Anthony Trelawney bewohnte. Das Zimmer war warm, aber nicht gemütlich, denn Trelawney war sehr spartanisch eingerichtet.
Wir wärmten uns eine Weile auf, dann begannen wir mit der Suche. Es dauerte lange. Das Schloß war sehr verwinkelt und hatte viele Nischen und Bogengänge. Es gab keinerlei Baupläne.
Wir entdeckten bis zum Mittag eine Geheimkemenate und zwei Geheimgänge, aber eine Tür mit einem Türklopfer in Form eines Löwenkopfes sahen wir nirgends. Am Nachmittag, nachdem wir mit dem Schloßverwalter ein karges Mahl geteilt hatten, begannen wir mit der Durchsuchung der Kelleräume. Es waren alte Gewölbe mit dicken Mauern. Wie auch das übrige Schloß, machten sie einen ungepflegten und heruntergekommenen Eindruck. Eine dicke Schicht Staub bedeckte den Boden der Kellergänge und -räume. Eine Beleuchtung gab es nicht. In den Kellerräumen standen alte morsche und wurmstichige Möbel, die teilweise schon kaputt waren. Im Weinkeller verrotteten leere Fässer.
Hinter dein Weinkeller befand sich die Folterkammer. Vom Standpunkt des Erbauers aus gesehen war das praktisch. So konnte er immer wieder einmal einen Schluck nehmen, wenn er bei Folterungen zusah oder sie gar selbst ausführte.
Die Folterknechte vergangener Zeiten waren allesamt wüste und versoffene Kerle gewesen. Viele von ihnen hatten im Suff Folterungen vorgenommen, die selbst ein Tier entsetzt hätten. Das hatte ich am eigenen Leibe erfahren, denn ich hatte seit Ende des 15. Jahrhunderts viele Leben gelebt. Immer wieder hatte mein Geist durch Wiedergeburt in einem neuen Körper weitergelebt. Jetzt war es vorbei damit. Im Kampf gegen Asmodi hatte ich meine Unsterblichkeit verloren. Jetzt konnte ich eine Beute des Todes werden wie jeder andere Mensch. Mir war es nicht unrecht, denn für die Unsterblichkeit war der Mensch nicht geschaffen.
Coco und
Weitere Kostenlose Bücher