0974 - Monsterzeit
die Lippen. »Eigentlich hast du keine. Außerdem kannst du froh darüber sein, mich in einer guten Stimmung erwischt zu haben, denn ich habe nicht vergessen, daß du mir das Leben gerettet hast. Aber manchmal bin ich komisch. Da möchte ich wieder an einen bestimmten Ort zurück. Wenn eben möglich, sollten wir zu den Steinen fahren. Geht das trotz des Rollstuhls?«
Greta hatte Mühe, den Triumph zu verbergen. »Ja, das wird wohl möglich sein. Sie müssen nur achtgeben.«
»Keine Sorge, das werde ich schon.« Er erhob sich von seinem Platz und trat nahe an Greta heran. Sie schaute hoch, er blickte nach unten und schüttelte dabei den Kopf.
»Was ist denn jetzt?« flüsterte sie. »Habe ich wieder etwas falsch gemacht?«
»Nein, das hast du nicht. Im Gegenteil, du machst alles richtig. Ich wundere mich nur darüber, was dieser verdammte Verräter für eine hübsche Tochter hat. Du bist schon ein Schuß. Nur schade, daß du im Rollstuhl sitzt.« Seine Augen verengten sich. »Aber in der Nacht kannst du plötzlich laufen, wie?«
»Ja«, gab sie zu.
»Und du kannst dich sicherlich auch normal bewegen. So bewegen, wie man es im Bett braucht.«
Greta wurde rot. Da brauchte sie sich nicht mal anzustrengen. Sie wollte nicht sprechen und nickte.
»Schön, dann freue ich mich schon auf die folgende Nacht, Süße. Sie wird bestimmt etwas Besonderes.«
Ja, das wird sie, dachte Greta, aber ihre Gedanken tendierten in eine andere Richtung, und sie hütete sich davor, durch den Gesichtsausdruck etwas davon zu verraten.
Der Killer zog sie vom Tisch weg. »Es gibt doch hier eine Hintertür, denke ich.«
»Wir nehmen die in der Küche.«
»Gut.« Er öffnete sie, dann fuhr er die Frau mit dem Rollstuhl heran. Es war alles für Greta umgebaut worden. Da gab es keine zu hohen Türschwellen, und hinter jeder Tür befand sich eine schiefe Ebene, über die die Räder des Stuhls rollen konnten, ohne gestoppt zu werden. Ein leichtes Schaukeln war nicht zu vermeiden, und so glitten sie hinein in das Gebiet, das zwischen der Hauswand und dem Wald lag. Einen Garten hatte niemand angelegt. Was dort wuchs, hatte sich aus der Natur heraus selbst entwickelt. Die violetten Glockenblumen ebenso wie die verschiedenen Gräser.
Perry Cameron hielt die mit Gummi bedeckten Griffe des Rollstuhls umklammert. Eine derartige Aufgabe hatte er in seinem Leben erst zwei-bis dreimal übernommen. Immer dann, wenn er verletzte Freunde im Krankenhaus besucht hatte. Er war also kein Profi, was den Umgang mit Rollstühlen anging.
Es gab nur einen Trampelpfad. Cameron und die Gelähmte umgab die reine Natur - und natürlich der herrliche Sonnenschein. Insekten tanzten durch die Luft. Bienen und Hummeln flogen von Blüte zu Blüte, um dort ihre Nahrung zu finden. Die beiden erlebten wirklich ein kleines Wunder, aber der Mann hatte dafür keinen Blick, im Gegensatz zu Greta. Für sie waren die Tiere Freunde. Manchmal kam es ihr sogar vor, als könnte sie sich mit ihnen unterhalten.
Sie wurde weitergeschoben. Das Ziel war der Waldrand, und darauf rollten sie zu.
Von einer gewissen Distanz aus betrachtet sah es so aus, als hätte das Sonnenlicht einen Bogen um den Wald geschlagen. Zwar verteilte es sich noch oberhalb der Kronen, dann war aber Schluß. Es schien dort gefiltert zu werden, als wollte ihm der Wald klarmachen, daß es eine Grenze gab.
Die Sonne schien gegen den Rücken der beiden so unterschiedlichen Menschen. Perry Cameron merkte, wie sich auf seiner Haut ein Schweißfilm legte. Irgendwo war er froh, bald in die Kühle des Waldes eintauchen zu können. Auf der anderen Seite spürte er in sich das leichte Gefühl der Furcht, denn in der letzten Nacht waren ungeheure Dinge geschehen, die er noch nicht verarbeitet hatte.
Heute würde er es schaffen. Heute war es hell. Da gab es nicht diese stockfinsteren Schatten, die alles Leben in sich aufsaugten.
Der Weg war beschwerlich für einen Menschen im Rollstuhl. Oft genug schaukelte das Gefährt. Es schwang dann, wenn die Räder über irgendwelche Erhebungen fuhren, von einer Seite zur anderen, und der Killer mußte aufpassen, daß der Stuhl im Gleichgewicht blieb und nicht kippte. Er wollte nicht, daß die Frau herausfiel.
Greta Kinny hielt sich tapfer. Sie klammerte sich hart an den Lehnen fest. Ihr Blick war nach vorn auf den grüngrauen Saum des Waldrandes gerichtet, und sie war froh, daß sich Cameron in ihrem Rücken befand, so konnte er das Lächeln auf ihrem Gesicht nicht sehen. Sie
Weitere Kostenlose Bücher