0974 - What happens in Las Vegas...
sein.«
»Wo denn? Hier?« Der Junge breitete die Arme aus. »Ist er etwa in einen Bottich Patchouli-Öl gefallen und ertrunken? Hat ihn eine Horde moralloser Batik-Künstler entführt und zwingt ihn jetzt dazu, Freundschaftsbändchen zu flechten?«
»Lenny Derringer, wenn du dir nicht auf der Stelle deinen Sarkasmus verkneifst, erzähle ich Callum und Steph von deiner Puppensammlung!«
»Puppen? Zum tausendsten Mal, Cass, das sind Actionfiguren! Sammlerstücke!«
Dann waren sie fort, bogen um eine Straßenecke und verschwanden aus Zamorras Sichtfeld. Schweigend zog er weiter, und mit jedem Meter, den er hinter sich brachte, wuchs sein ungutes Gefühl. Wie ein Soldat in Feindesland, wo jederzeit und aus jeder Richtung ein Angriff drohen mochte, sah er sich Schritt für Schritt um. Übervorsichtig?
Ich wünschte, du wärst hier, Nici, dachte er. Und sei es nur, um mir die Flausen auszureden.
Aber waren es überhaupt Flausen? Galt es als Flause, wenn einem das eigene Bauchgefühl Gefahr suggerierte? Gut, Merlins Stern, den er trotz der Energie, die es ihn kostete, auf Alarmmodus gestellt hatte, verhielt sich bislang ruhig. Demnach lag keine direkte schwarzmagische Bedrohung vor. Aber schon der Blick in die Magiesicht von vorhin hatte deutlich gemacht, dass indirekt durchaus einiges im Argen stand.
Und wenn ich in all den Jahren eines gelernt habe, dann, dass aus Indirekt ganz schnell und ganz plötzlich Direkt werden kann. Zamorra seufzte. Meist sogar zu plötzlich.
Trotz der frühen Stunde und der zweifellosen Tatsache, dass dieses Volk die ganze Nacht durchgefeiert hatte, herrschte reges Treiben in Black Rock City. Die Stadt im Wüstennichts pulsierte regelrecht vor Leben. Zamorra sah Alte, Junge, Nüchterne, Betrunkene. Hin und wieder begegnete ihm ein Polizist, manchmal ein Sanitäter. Sie ließen die Feierlichkeiten weiterlaufen, schritten selbst bei überdeutlichem Drogenkonsum nicht mahnend ein. Hier draußen schienen andere Gesetze zu gelten, zumindest für die Dauer des Festivals. Und außerdem: Wollte man hier auch Drogendelikte ahnden, käme man aus den Einsätzen vermutlich gar nicht mehr raus. Nein, die Beamten und Rettungsdienstler waren zur Wahrung der Sicherheit da. Sie wussten, wann sie wegzuschauen hatten. Wer auch immer der Veranstalter dieses Spektakels war, besaß offenkundig genug Grips, für eine der Eventgröße entsprechende Infrastruktur zu sorgen.
Und dann diese Bauten! Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, Zamorra hätte sich an den Unterkünften, die sich die Feiernden selbst errichtet hatten, kaum sattsehen können. Wohnmobile, provisorisch um Sperrholz-Dachterrassen und andere, nicht minder wacklig wirkende Anbauten ergänzt, standen neben leichten Modergeruch verströmenden Zelten. Ramponierte und vom Wüstenstaub geküsste Pick-up-Trueks parkten quer in ihren Parzellen, und auf den Ladeflächen »wohnten« fünfköpfige Familien - Mutter und Vater im Look langhaariger Aussteiger, die drei kleinen Kinder barbrüstig, ohne Schuhe und selig vor Vergnügen. Manche Extremisten verzichteten ganz auf Behausungen und schliefen unter freiem Himmel ihren Rausch aus, mit nichts als einem Schlafsack, einer Garnitur Klamotten und einem Rucksack voller Getränke bei sich.
Farben überall. An Zelt- und Autotüren, auf Menschenkörpern, auf in der morgendlichen Brise flatternden Fahnen und Batiktüchern. Windspiele ließen ihr sphärisch anmutendes Geläut erklingen. Die Luft roch nach Staub, Schweiß und Linksliberalismus. Nach Ökokultur in ihrer fundamentalsten Ausprägung. Nach Woodstock.
Manche Leute hatten sich halbe Häuser gezimmert, windschiefe und mit allerlei Sonnen und Blumenmotiven bemalte Unterkünfte aus mitgebrachten Brettern, Holzplatten und Wellblech. Vor einem solchen fläzte sich gerade ein drahtig wirkender Mann undefinierbaren Alters, kiffte und sah dem näher kommenden Meister des Übersinnlichen entgegen. Wie schon die Kinder von vorhin trug er nichts außer einer Hose, sah man mal von dem abgewetzten Hemingway-Hut auf seinem zu einem Pferdeschwanz gebundenen aschgrauen Haar ab. Sein schmales, von Falten durchzogenes Gesicht wurde von einer spitzen Nase und einem buschigen Schnurr- und Kinnbart dominiert, der jedem Musketier zur Ehre gereicht hätte.
Aus dem offenen Fenster seiner Behelfsbehausung drang rhythmische Gitarrenmusik. Greatful Dead, erkannte Zamorra. Ramble on Rose. Das passte irgendwie ins Bild.
»Ich fass es ja nicht«, stieß der Mann nun
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