0975 - Hier wohnt der Tod
daran dachte und sich das Geräusch wieder in die Erinnerung rief. Es hatte einen Nachklang gehabt, als wäre etwas zersprungen. Ein besonders empfindliches Material.
Bei diesem Gedanken begann ihr Herz wieder rasend zu klopfen. Das empfindliche Material konnte durchaus Glas gewesen sein.
Glas, das als dicht angesehen worden war. Dicht und fest. So hart, daß es von einem Käfer nicht zerstört werden konnte. Oder doch?
Der Skarabäus!
Der Name grub sich in Shaos Gedankenwelt. Noch immer saß sie im Bett, lauschte und wartete, obwohl sie sich vor der Wiederholung des Geräuschs fürchtete.
Noch passierte nichts.
Das Haar war ihr von zwei Seiten ins Gesicht gefallen. Shao strich es wieder zurück und wollte sich eingestehen, daß dieses Geräusch ein Teil ihres Traums gewesen war und sie sich einfach geirrt hatte.
Ping…
Wieder war es zu hören gewesen. Diesmal zuckte sie zusammen, als wäre sie geschlagen worden. Und Shao wußte genau, daß sie keinem Irrtum erlegen war.
Etwas war geplatzt.
Das Glas mit dem Käfer. Es gab für sie keine andere Möglichkeit. Und es war zudem im Wohnraum aufgeklungen, nicht in der Küche. Wieder schauderte sie und schaute über die Bettkante hinweg auf die helle Stelle, die das einfließende Licht hinterlassen hatte. Sie wollte sehen, ob sich dort etwas bewegte und hätte sich auch darüber nicht gewundert, wenn es der Käfer gewesen wäre.
Da war aber nichts.
Das beruhigte sie weniger, denn die Erinnerungen blieben. Shao gehörte nicht eben zu den ängstlichen Menschen. Oft genug hatte sie sich als Kämpferin gezeigt, aber dieser Käfer war ihr schon unheimlich. Daran konnte auch ihre phantastische Herkunft, als Erbin der Sonnenkönigin Amaterasu, nichts ändern.
Das war weit in die Vergangenheit gedrängt worden. Daß sie jetzt etwas tun mußte, war ihr klar. Sie wußte auch schon, wie sie es schaffte, Klarheit zu bekommen. Sie mußte zuerst das Bett und danach das Schlafzimmer verlassen. Eine völlig normale Geste, unzählige Male schon durchgeführt, aber in diesem Fall doch mit Furcht behaftet.
Die Chinesin mußte sich erst überwinden, um die Beine aus dem Bett schwingen zu können. Sie fror dabei. Das Fenster hatte sie schräg gestellt. Kühle Nachtluft wehte in den Raum und verteilte sich.
Ihre nackten Füße schlüpften in die bereit stehenden flachen Pantoffeln.
Ohne sie wollte sie nicht ins Wohnzimmer gehen. Der Gedanke, plötzlich ungeschützt vielleicht auf den Käfer zu treten, war ihr mehr als unangenehm.
Die offene Tür lockte sie, und Shao streifte wie ein Schatten durch den Widerschein. Sie betrat den Flur, der ebenfalls in einem Halbdunkel lag.
Sie sah die offene Wohnzimmertür. Deren Umgebung wurde in das hellere Licht der Schreibtischleuchte getaucht. Aber auch dort war keine Bewegung zu sehen.
Ping…
Zum drittenmal wehte dieser Laut an ihre Ohren. Und diesmal sehr deutlich.
Wobei es bei diesem Geräusch nicht blieb, denn sofort danach nahm sie das Knirschen wahr. Diese helle Geräusch, mit dem das Glas zerbrach.
Der Käfer hatte es geschafft! Der verdammte Käfer ist stärker gewesen als das Glas!
Diese Gedanken wollten aus ihrem Kopf nicht verschwinden. Sie waren und blieben da. Shao sah sich in die Defensive gedrängt. Okay, sie konnte die Wohnung auf einen Verdacht hin verlassen und nach nebenan zu John gehen. Das sah sie aber als feige an. Zudem platte sie noch keinen Beweis für ihre Annahme.
Außerdem war ein Käfer, betrachtete man es normal, kein richtiger Gegner.
Den konnte sie zertreten oder zerstampfen. Entweder mit den eigenen Füßen oder mit einer Waffe.
Shao entschied sich für eine Waffe.
Daß sie sich im Flur befand, war günstig. Hier gab es einen kleinen Einbauschrank, in dem sie normalerweise einiges an Gerumpel aufbewahrte, auch die Putzutensilien.
Suko hatte ihr den Schrank einmal angefertigt und in eine Ecke hineingebaut.
Auf leisen Sohlen, als wollte sie niemanden stören, ging Shao auf die Tür zu. Sie drehte den Schlüssel, öffnete und fand sich auch im Düstern zurecht.
Der Werkzeugkasten stand unten rechts. Um ihn aufzuklappen, brauchte sie ihn nicht erst herauszunehmen. Sie faßte hin, sie klappte ihn auf, sie tastete mit der rechten Hand in das obere kleine Fach hinein und hatte schon beim ersten Griff das gefunden, was sie haben wollte.
Es war ein Hammer!
Ihre Handfläche strich über den etwas rauhen Griff hinweg, als wollte sie ihn streicheln. Dann packte sie fester zu, hob ihn an und war
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