0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
Frau. Ich sah Jacken und Hosen. In den drei Fächern lagen die Pullover, die Hemden und auch die Unterwäsche zusammen mit den Socken.
Ein paar Schuhe standen neben dem Telefon. Die Kleidung war wichtig. Hosen und Jacken hatten Taschen, in denen man etwas verstecken konnte.
Der Reihe nach nahm ich sie mir vor. Bei den Hosen fing ich an, ohne etwas zu finden. Nicht einmal das berühmte Streichholzheftchen mit der Aufschrift irgendeiner Nachtbar. Nur zwei gebrauchte Taschentücher förderte ich zutage.
Es machte mir wirklich keinen Spaß, in den privaten Sachen fremder Personen herumzuwühlen, aber in diesem Fall gab es keine andere Möglichkeit. Außerdem wollte mir nicht in den Kopf, daß ein Mann wie Stevens hier etwas versteckte. Er mußte immer damit rechnen, daß seine Tarnung aufflog und er somit unter Verdacht geriet. Da war es schon besser, wenn er der Gegenseite keine Beweise lieferte.
Nun hob ich eine Strickjacke hoch. Meine Finger glitten zuerst in die rechte Tasche, die leider leer war, dann versuchte ich es an der linken Seite - und pfiff leise durch die Zähne.
Ich hatte etwas gefunden.
Es knisterte zwischen meinen Fingerkuppen. Es hatte sich angehört, als wäre Papier zusammengefaltet worden.
Ich holte den Fund behutsam hervor und stellte fest, daß ich mich nicht geirrt hatte.
Ich hielt tatsächlich einen Zeitungsausschnitt zwischen den Fingern. Sofort faltete ich ihn wieder auseinander und strich ihn glatt.
Eine Annonce. Aber eine besondere, denn ein Callgirl bot darin seine Dienste an.
Ich las den Text halblaut: »Charlotte! Süß, blond und lieb. Erfüllt alle Wünsche.« Auch eine Telefonnummer war vorhanden, und das gefiel mir natürlich.
Ich holte den Apparat aus dem Schrank hervor. Die Schnur war so lang, daß ich ihn auf das Klappbett stellen konnte, wo ich ebenfalls meinen Platz fand, aber noch nicht anrief. Ich schaute gedankenverloren auf die Anzeige und fragte mich, warum dieser Dick Stevens sie ausgeschnitten hatte.
Hatte ein Mann wie er so etwas nötig? Nein, damit konnte ich mich nicht anfreunden. Die Aufbewahrung dieser Anzeige mußte einen anderen Grund gehabt haben.
Einen dienstlichen. War diese Nummer möglicherweise die Spur, die letztendlich zu den verschwundenen Männern führte. Über ein Callgirl oder zu ihm?
Ich wollte nicht glauben, daß es so einfach war. Aber manchmal ist es eben so. Da greift man in ein Nest mit zahlreichen Blumen, in dem sich nur eine Rose befindet, und genau diese Blume pickt man zielsicher heraus.
Die Nummer machte mich neugierig. Ich wählte sie und wartete zunächst ab. Nach dem zweiten Tuten knackte es. Ein Anrufbeantworter war eingeschaltet worden. »Lieber Freund«, hörte ich eine weiche Frauenstimme, »es ist schön für uns beide, daß du meine Nummer gewählt hast. Leider bin ich im Moment nicht da, denn ich mache mich für dich schön. Gib aber nicht auf und rufe später noch einmal an. Ich freue mich auf dich.«
»Ich aber nicht auf dich!« schimpfte ich, wobei ich den Hörer wieder auflegte. Dieser Versuch war ein Schuß in den Ofen gewesen.
Die Anzeige allerdings behielt ich. Sie war die Spur, der ich folgen wollte. Die Kollegen würden rasch herausfinden, wem der Anschluß gehörte.
Dann hatte ich ein Ziel.
Ich kleckerte nicht, sondern klotzte, denn ich rief bei meinem Freund Tanner an. Er war im Büro und schnaufte tief durch, als er meine Stimme hörte. »Na, ist das denn nicht ein kleines Wunder?«
»Wieso?«
»An dich habe ich gedacht, John, und mich dabei gefragt, ob du schon eine Spur hast.«
»Ich denke ja.«
Tanner war sprachlos. So etwas kam nicht oft vor, aber diesmal erlebte ich ihn so lange stumm, bis er mit ungläubiger Stimme sagte: »Du bindest mir doch wohl keinen Bären auf…«
»Nein, diesmal habe ich keinen Bock auf irgendwelche Scherze.« Ich berichtete ihm, was ich in Stevens' Wohnung gefunden hatte, gab ihm auch die Nummer durch und bat ihn, herauszufinden, unter welcher Adresse ich diese Charlotte finden konnte.
»Mach ich doch glatt. Bleibst du solange in der Wohnung?«
»Ja.« Er bekam noch die Nummer, unter der ich zu erreichen war. Dann legte ich auf.
Allmählich spürte ich so etwas wie Jagdfieber in mir. Auf dem Bett wollte ich nicht unbedingt sitzen bleiben, stand auf und ging durch den Raum. Am Fenster stellte ich mich hin. Einfachverglasung. Der Lärm unten auf der Straße war »bestens« zu hören.
Ich schaute zu, ohne das Geschehen draußen richtig wahrzunehmen, weil ich mich
Weitere Kostenlose Bücher