0976 - Die Leichen der schönen Charlotte
»Nein, Sir, ich weiß nichts, gar nichts.«
»Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Ich schwöre es. - Wir beide haben nie ein privates Wort gewechselt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß sie immer sehr freundlich zu mir gewesen ist…«
»Wie sieht sie aus?«
Der Lift stoppte in der achten Etage. Die Antwort bekam ich, als wir im Flur standen, der ziemlich schmal war und wo sich die blaue Farbe von unten wiederholte, allerdings in einem helleren Ton.
»Toll sieht sie aus. Blond, ein Engel. Der hat man nicht angesehen, welchem Job sie nachgeht. Überhaupt nicht. So hätte sich meine Mutter immer ihre Schwiegertochter gewünscht. Aber was habe ich bekommen? Einen Drachen, der…«
»Also sie hat Klasse!« Ich wollte nicht zuhören, wenn er sich über seine Ehe beklagte.
»Das hat sie.«
»Dann lassen Sie uns zu ihr gehen.«
»Wir müssen nach rechts.«
Es war keine Freude für die Augen, diesen Gang zu sehen. Lang, leer, keine Bilder an den Wänden, nur diese unterschiedlich getönten Aquafarben an den Wänden und auf dem Boden.
Im Gegensatz dazu waren die Türen weiß lackiert worden. Ein viel zu harter Kontrast.
Ich hatte den Hausmeister vorgehen lassen. In der rechten Hand hielt der den Universalschlüssel. Er spielte mit ihm. Der Mann war nervös. Wahrscheinlich erwartete er, eine Leiche in der Wohnung zu finden. Wenn ich ehrlich gegen mich selbst war, empfand ich den Gedanken nicht mal als absurd.
Vor einer der Wohnungstüren war der Mann stehengeblieben. Er probierte den Schlüssel aus, drehte ihn zweimal, zog die Tür am Knauf an, um sie wenig später aufzuschieben.
»Vielen Dank«, sagte ich und schob mich an ihm vorbei in den kleinen Flur.
Der Hausmeister stellte sich auf die Zehenspitzen, weil er ebenfalls etwas sehen wollte. »Ähm - soll ich noch bleiben?«
»Nein, das ist nicht nötig.«
»Ja, dann…« Er räusperte sich. »Viel Glück wünsche ich Ihnen, Sir.«
»Werde ich brauchen können, danke.« Ich schloß die Tür und lächelte hölzern. Dann verschwand dieser Ausdruck aus meinem Gesicht, denn ich hatte hier einen Job zu erledigen.
Der Flur war klein und schmal. Trotzdem zweigten von ihm drei Türen ab. Platz für eine Garderobe gab es nicht. Nur einen roten Schirmständer hatte die Mieterin in eine Ecke gestellt.
Die Wände waren weiß gestrichen. Selbst im Bad, dessen Tür ich als erste öffnete. Es roch nach Deo, Seife und einem Öl. Ein Fenster gab es im Bad nicht.
In meiner Umgebung war es still, und ich empfand die Wohnung auch als clean. Insofern, daß sie nicht aussah, als würde sie von jemandem bewohnt, der sich hier wohlfühlte. Man konnte eher meinen, daß sich der Mieter hier als Gast aufhielt.
Mit zwei kleinen Schritten hatte ich die zweite Tür erreicht. Wohn- oder Schlafzimmer, wobei letzteres sicherlich auch so etwas wie ein »Arbeitszimmer« war.
Es war das Wohnzimmer, in das ich schaute. Ich bewegte mich dabei kaum von der Tür weg, da ich alles gut überblicken konnte. Von einer Einrichtung konnte man auch hier nicht groß sprechen.
Zwei kantige Kästen als Regale gebaut, ein Fernseher, zwei Lampen, noch eine zusätzliche Liege, ein CD-Player, der an ein Radio angeschlossen war, damit hatte es sich schon. Nein, bis auf die Flaschen, die an der Wand standen. Zweimal Whisky, einmal Cognac und einmal Gin.
Und die Küche war auch noch vorhanden. Sie lag im toten Winkel der Tür. Die Zeile war in eine Nische hineingebaut worden und wurde durch einen Vorhang verdeckt.
Ich zog ihn zur Seite und hob die Schultern. Da war alles sehr sauber. Auf einem Regalbrett standen einige Gläser. Eine Mikrowelle war ebenfalls vorhanden, ansonsten wies diese Einbauzeile keine Besonderheiten auf. Natürlich fehlte weder der Kühlschrank noch der Elektroherd.
Blieb das Schlafzimmer.
Ich mußte wieder zurück in den Flur. Die Türklinken waren ebenfalls blau lackiert worden und bestanden aus Kunststoff. Nur diejenige an der Schlafzimmertür schimmerte in einem dunklen Rot. Da wußte wohl jeder Kunde, wohin er zu gehen hatte.
Auch ich.
Na ja, die Luft hielt ich schon an, als ich die Tür aufdrückte und einen ersten Blick in das Zimmer hineinwarf, in dem es dunkler war als in den anderen. Das lag auch an dem Rollo vor dem Fenster, durch dessen Lamellen kaum helle Streifen drangen.
Teppichböden hatte ich auch in den anderen Räumen erlebt. Aber keiner war so weich und flauschig wie dieser hier im - pardon - Arbeitszimmer.
Vor mir sah ich das Bett.
Eine Spielwiese. Sehr breit.
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